Silberband 081 - Aphilie
näherte sich dem äußeren Schott bis auf etwa fünfzehn Schritte, dann feuerte er wieder. Auf der Strecke herrschte Unterdruck. Kaum schmolz die Thermosalve die Struktur des inneren Schotts, da fegte eine heulende Sturmbö über Sergio hinweg und riss ihn fast zu Boden. Er sah, wie der glühende Teil des Schotts nach außen gedrückt wurde. Mit ungeheurer Wucht rauschte die Luft aus dem Bahnsteigsektor in den fast luftleeren Streckenabschnitt. Es knackte in Sergios Ohren, und ein leichtes Schwindelgefühl ließ ihn schwanken.
»Weiter!«, schrie er gegen den Sturm.
Nur Sylvia hatte rechtzeitig reagiert und sich eng an die Schleusenwand gepresst; die Aphiliker waren jedoch von den Beinen gerissen worden. Sergio wartete, bis Pakko und der Stämmige an ihm vorbei durch das aufgebrochene Schott stiegen. Er folgte ihnen, und Sylvia blieb dicht neben ihm. Inzwischen mussten sie nicht mehr fürchten, von einem Rohrbahnzug überrollt zu werden. Das Überwachungssystem hatte den Schleusendefekt registriert und augenblicklich den Verkehr auf dieser Strecke lahm gelegt. Der Nachteil war, dass die Sicherheitsorgane informiert wurden.
Schweigend tappten sie durch die Düsternis. Der Sturm hatte sich inzwischen gelegt, der Druckausgleich war abgeschlossen. Sergio blieb stehen, als er im matten Schimmer einer der wenigen Leuchtplatten den flachen Stutzen eines Regulierventils in der Röhrenwand entdeckte. Wenige Schritte weiter, auf der anderen Seite und etwa in halber Mannshöhe, lag der Verschluss eines Überdruckventils. Selbsttätig trat es immer dann in Tätigkeit, sobald der Druck in der Röhre einen kritischen Wert überstieg. Das Regulierventil führte in einen der riesigen Drucktanks für die Regulierung der Streckenabschnitte. Der Wartungsschacht musste hingegen in nicht allzu großer Entfernung an der Oberfläche münden.
Mit Sergio waren auch die Aphiliker stehen geblieben. Pakko schrie auf, als die flirrende Abstrahlmündung der Waffe auf den Verschluss des Regulierventils zeigte.
»Nicht!«, wimmerte er. »Du wirst uns alle umbringen.«
»Hinlegen!«, knurrte Sergio. »Je dichter ihr euch an den Boden presst, desto weniger kann der Sog euch mitreißen.«
Pakko wollte weiter jammern, aber Sergio gab ihm einen kräftigen Stoß, dass er zu Boden ging. Sylvia und der andere Mann hatten seine Anweisung bereits befolgt. Sergio Percellar kniete sich, dem Regulierventil genau gegenüber, vor die linke Wand der Röhre, visierte das Ziel kurz an und schoss.
Die Wirkung war überwältigend. Dröhnend barst das Ventil. Der riesige Druckkörper dahinter entließ einen fauchenden Strom hochkomprimierter Luft in die Röhre. Sergio hatte sich ebenfalls zu Boden geworfen und machte sich so flach wie möglich, trotzdem fürchtete er, vom tosenden Sturm mitgerissen zu werden. Kaum mehr als dreißig Sekunden lang verkrampfte er sich, aber die Zeit erschien ihm wie eine halbe Ewigkeit. Dann ließ die Wucht des Sturmes allmählich nach. Vorsichtig hob Sergio den Oberkörper an und spähte nach beiden Seiten. Der Luftstrom trieb ihm Tränen in die Augen, aber er sah zur Linken die Aphiliker eng an den Boden gepresst und rechter Hand Sylvia in ähnlicher Haltung wie er selbst. Sie hatte seinen Plan instinktiv erkannt.
An der gegenüberliegenden Wand hatte die explosionsartig freigesetzte Luft aus dem Kessel ein mehr als mannshohes Wandstück herausgerissen. Ein Loch war entstanden, durch das ein normal gewachsener Mensch leicht ins Innere des Kessels eindringen konnte. Ein Blick zur Seite bewies Sergio, dass inzwischen das Überdruckventil arbeitete. Durch das Ausströmen der Pressluft hatte sich der Innendruck der Röhre unzulässig erhöht. Die Öffnung des Überdruckventils war zwar unbequemer als das Loch in der gegenüberliegenden Wand, aber dafür führte der Weg durch den Überdruckstollen geradewegs in die Freiheit.
Sergio machte eine Kopfbewegung, die Sylvia sofort verstand. Sie stemmten sich gegen den immer noch heftigen Sturm und krochen auf die Öffnung des Ventils zu. Sergio half der Frau in die Höhe. Es war nicht leicht für Sylvia, durch das enge Loch zu klettern, aber schließlich war sie in der Wand verschwunden. Sergio folgte ihr, nachdem er sich mit einem letzten Blick davon überzeugt hatte, dass die Aphiliker immer noch bäuchlings auf dem Boden lagen und ihre Gesichter auf den Beton pressten.
Seine breiten Schultern behinderten ihn, aber er schaffte es mit Sylvias Hilfe, die enge Öffnung zu überwinden.
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