Silberband 083 - Kampf um die SOL
Menschheit?
Wer war der Anwärter auf das Amt, das neue Licht der Vernunft?
Noch gab es keine Namen.
Aus der Anonymität löste sich eine Gestalt. Admiral Trevor Casalle in sieben Szenen, die Schlüsselerlebnisse provozierten. Schließlich, nach dieser Präsentation, erschien er wirklich und dreidimensional, live.
»Terraner!«, rief Casalle mit seiner sonoren Stimme, die gleichermaßen beruhigend und versprechend klang. »Mitbürger! Vor wenigen Stunden wurde ich herausgefordert. Sie und ich wissen, was wir von Schmenk Ructyn zu halten haben, und das ist noch zu positiv. Selbstverständlich stelle ich mich diesem Duell. Ich tue das, weil ich besser bin. Aber die Schiedsrichter werden keine Menschen sein. Wir alle sind beeinflussbar und neigen dazu, unsachlich, unlogisch und unvernünftig zu urteilen. Eine Positronik tut das nicht, deshalb werden Positroniken darüber urteilen, wer von uns beiden die höhere Vernunft beweist. – Am Mittag des 28. August werden Schmenk Ructyn und ich uns treffen. Es gibt ein Trainingscenter hoch in den Anden, in dem wir vor störenden Einflüssen sicher sind. Terra Vision ist eingeladen. Zudem sind in der Innenarena tausend Sitzplätze vorhanden. So sichere ich es ab, dass Bürger wie Sie an der Ausscheidung teilhaben können. Der Sieger des Duells wird das neue Licht der Vernunft sein. Ich verspreche und gelobe der Menschheit schon jetzt, dass ich sie in kurzer Zeit aus der Bedrohung herausführen werde. Wir werden viele erhellende Augenblicke miteinander haben. Ich danke für die Aufmerksamkeit.«
»Das war der Sieg vor dem Kampf«, raunte Percellar im Selbstgespräch. Er wusste, dass der Major meinte, was er sagte, und nicht nur das. Casalle war davon überzeugt. Eine andere Haltung war ihm unmöglich, denn er war einer der glühendsten Verfechter der Vernunft. Aber das bedeutete keineswegs, dass er ein gegebenes Wort nicht brechen oder sonstige unschöne Dinge tun würde.
Wieder einmal wünschte sich Sergio Percellar, in einem anderen Jahrtausend geboren worden zu sein.
Er hörte nicht ohne Verblüffung davon, dass man den Gleiter mit der Leiche Leifer Khantanks gefunden hatte. »Scheußlich unangenehm!«, murmelte er. Zum ersten Mal kamen ihm Zweifel an der Richtigkeit seiner Mission.
27.
Eine der wenigen therapeutischen Maßnahmen, die wir freiwillig aus der Vergangenheit übernahmen, ist der Begriff der Strafarbeit und der Arbeitslager. Natürlich wissen wir, dass fast alle Arbeiten, die unter diesen Begriff fallen, weit besser von Maschinen ausgeführt werden können. Aber Maschinen begehen keine Straftaten, und niemand muss sie für Vergehen zur Rechenschaft ziehen. Die Würde des neuen Menschen verlangt, dass für eine Straftat gebüßt werden muss. Nach dieser Zeit der Bewährung ist der kranke oder immune Mensch in der Lage, die Welt im Licht der Logik zu erkennen. Die Zwangsarbeit wird in bestimmten Lagern außerhalb der Zentren menschlicher Besiedlung abgeleistet. Körperliche Arbeit zur Rehabilitation gilt in der neuen Menschheit als Strafe, die mit der Würde des Menschen zu vereinbaren ist. Jahrzehnte der Erfahrung haben gezeigt, dass intensive körperliche Arbeit kriminaltherapeutische Wirkung hat.
Aus einer Rede Reginald Bulls, des Lichts der Vernunft
Dustin Seraph betrat als Erster aus Casalles Team die Halle. Sie befanden sich auf einem kalten, staubigen Hochplateau der Anden, jenseits der Baumgrenze. Hier oben war der Himmel charakteristisch gefärbt. Die Sonne Medaillon stand fast im Zenit und verwandelte die Ebene in eine fantastische Szenerie.
Im Kontrollraum des Testzentrums stand die aus Fertigteilen errichtete Zuschauertribüne. Die Kontrahenten waren noch nicht eingetroffen.
Seraph wandte sich an einen Aufnahmetechniker. »Ist alles bereit?«, wollte er wissen. Seit Tagen traf er die Vorbereitungen. Trotzdem hatte er ein Gefühl, das er nur mit Unruhe assoziieren konnte.
»Noch fehlen die Zuschauer, die Eskorten und die Kandidaten.«
Einstmals war die Hochebene ein Versuchsgelände für Triebwerke gewesen, hier waren Gleiter und Lufttransporter getestet worden. Ructyn hatte eingewilligt, dass Positroniken die letzte Entscheidung herbeiführen sollten. Sie würden mit unbestechlicher Präzision feststellen, wer den höheren Grad konstruktiver Vernunft besaß.
Viel zu schnell hatte Ructyn alles akzeptiert. Seraph erkannte genau diesen Umstand als Grund für sein flaues Gefühl.
»Die Zuschauer sind unterwegs«, korrigierte er beiläufig.
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