Silberband 086 - Inferno der Dimensionen
»Mir ist, als hätte das ganze Zeug irgendwann einmal in meinem Schädel gesteckt.«
»Das hat es auch, Ranjit«, bekräftigte der Arzt.
Ranjit Singh streckte sich seufzend aus. »Ich bin entsetzlich müde«, sagte er matt. »Ich glaube, das alles hat mich doch weit mehr mitgenommen, als ich dachte.«
Der Arzt lächelte. Er umfasste Ranjits Oberarm – ein knapper Ruck, und der Inder stieß ein steinerweichendes Jaulen aus und fuhr senkrecht in die Höhe. Entsetzt starrte er den Arzt an.
»Du bist weder müde noch mitgenommen«, sagte der Mediziner. »Du bist nur entsetzlich faul. Ich erkläre dich hiermit für vollständig wiederhergestellt, und wenn du nicht morgen früh an deinem Arbeitsplatz erscheinst, dann soll dich der Teufel holen!«
Der Arzt verließ die Station und fuhr mit dem Antigravlift hinauf zum Rechnerlabor. Dort oben lebte und arbeitete seit geraumer Zeit sein Freund Sulliman Cranoch, ein mittelgroßer, hagerer und zumeist schlampig gekleideter Mann von schwer definierbarem Alter. Sulliman war angeblich seit einigen Tagen einem Geheimnis auf der Spur.
Nur der Arzt wusste vorerst davon. Stück für Stück hatte Oliveiro Santarem in der Krankenstation die Pseudoerinnerung aus Singhs Bewusstsein entfernt und ihm ebenso vorsichtig das wieder eingegeben, was normale Menschen an Erinnerung mit sich herumtrugen. In der Tiefenhypnose hatte der Patient sein ›falsches‹ Wissen heruntergebetet, und jedes Wort war aufgezeichnet worden.
Singhs müde Erzählung hatte Sulliman Cranoch sofort elektrisiert. Mit einer Kopie der Aufzeichnung saß er seitdem Tag und Nacht an seiner Positronik und jagte hinter dem Geheimnis her, von dem er nicht einmal Oliveiro mehr sagen wollte.
Santarem wartete eine Weile unter der offenen Tür darauf, dass Cranoch ihn bemerke. Als das nicht geschah, sagte er: »Ranjit erinnerte sich wieder an alles.«
Sulliman Cranoch fuhr in die Höhe, lächelte matt und wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Du bist es«, sagte er erleichtert. »Ich war ziemlich vertieft.«
»Das konnte ich sehen. Also noch einmal: Ranjit erinnert sich. Das Zeug hat wirklich in seinem Bewusstsein gesteckt. Das wolltest du doch wissen, oder?«
»Richtig.« Cranoch nickte fahrig. »Es wäre immerhin möglich gewesen, dass seine Erzählung nicht wirklich aus seinem Bewusstsein kam, sondern ihm während deiner Hypnose von außen her zugetragen wurde.«
Santarem machte ein ungläubiges Gesicht. »Übertreib bitte nicht. Das ist ziemlich weit an den Haaren herbeigezogen.«
Sulliman Cranoch schüttelte den Kopf. Selbst beim nichtigsten Anlass schüttelte er äußerst energisch den Kopf, wie es kleine Kinder oder auch Geistesgestörte tun. Das war eine der Eigenheiten, denen er seinen Ruf als Sonderling verdankte. »Nicht ganz so weit, wie du denkst«, verteidigte er sich. »Die Wortgehalte sind die gleichen, wenn auch die Satzgehalte sich voneinander deutlich unterscheiden.«
»Wovon redest du eigentlich? Spuck's endlich aus!«
»Es gibt bei uns ein Dokument«, erklärte Cranoch, »das auf dieselbe Weise abgefasst ist wie das, was Singh gesagt hat. Verstehst du? Es hat dieselbe semantische Struktur. Und da diese Struktur sehr eigenartig ist, ließ es mir keine Ruhe, als ich die Aufzeichnung hörte.«
»Hast du herausgefunden, was dahinter steckt?«
»Nein. Ich weiß nur mit Sicherheit, dass es ein Geheimnis gibt.«
Santarem seufzte ergeben. »Irgendwann wirst du mir hoffentlich erklären, wovon du redest. Fürs Erste interessiert mich nur, von was für einem Dokument du sprichst.«
»Vom Buch der Liebe«, antwortete Sulliman Cranoch trocken.
Etliche tausend Kilometer entfernt: Imperium-Alpha, Innensektor. In einem fast kahlen Raum zwei Männer, die ein Gewirr aus leuchtenden Linien und Flächen in einer großen Projektion betrachteten.
Trevor Casalle, das Licht der Vernunft, war ein großer und breitschultriger Mann. Seine Augen blickten unerbittlich wie die Optik eines Roboters. Sein Adjutant, Heylin Kratt, übertraf ihn noch an Körpergröße, war jedoch hager. Kratt machte den Eindruck eines Asketen.
»Das ist die gesamte Anlage?«, fragte Casalle.
»Das ist alles, Sir … soweit der Gefangene weiß.«
»Wo stecken die Emotio-Narren?«
Heylin Kratt dirigierte einen Leuchtpfeil zu einer Stelle knapp neben dem Zentrum des aus Linien und Flächen bestehenden Gebildes. »Sie haben sich in insgesamt vier Etagen eingerichtet.«
»Das lemurische Arsenal?«
Der Pfeil wanderte zum
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