Silberband 088 - Der Zeitlose
hatte, warf er sich dagegen.
Das Tor gab nach. Speideck nahm sich keine Zeit zum Atemholen, sondern feuerte sofort einen weiteren Schuss ab. Erst dann hielt er inne, unterdrückte seinen hastigen Atem und lauschte.
Er hörte nichts. Panik breitete sich in ihm aus. Hatte er die kaum noch erwartete Chance schon wieder verspielt?
Zögernd besann er sich, dass er die Stimme des anderen hier unten auf der Straße sicher nicht so weit hören konnte wie oben auf dem Dach. Das musste die Erklärung sein. Er kannte die Richtung nicht, aus der die Stimme erklungen war. Deshalb hatte er keine andere Wahl, als auf der Straße zu warten und in regelmäßigen Abständen weitere Schüsse abzufeuern.
Der Unbekannte, der offenbar keine andere Möglichkeit als seine Stimme hatte, um auf sich aufmerksam zu machen, musste zu ihm finden. Das Warten wurde für Jan Speideck zur nervlichen Zerreißprobe.
Er hatte noch drei Schüsse im Magazin und sieben Ersatzpatronen. Doch in dieser Stadt konnten zwei Menschen, die nur durch einen Gebäudekomplex getrennt waren, unbemerkt aneinander vorbeilaufen.
Die Zeitspanne zwischen dem zweiten und dem dritten Schuss trieb Kanube schier zur Verzweiflung, denn er befürchtete, dass er sich nicht laut genug bemerkbar gemacht hatte.
Er stand mitten auf der Straße und konnte nur warten. Hinter sich hörte er hastige Schritte. Ohne sich umzudrehen, wusste er, dass Marboo kam. Unmittelbar nachdem sie ihn erreicht hatte, fiel der dritte Schuss.
Marboo wollte etwas sagen, doch Kanube hob die Hand. Er wartete, bis das Echo verklungen war. In den Straßenschluchten des Stadtzentrums war es nicht einfach, zu erkennen, wo der Schuss abgefeuert worden war. Der Afroterraner glaubte jedoch, die ungefähre Richtung ausgemacht zu haben.
»Warum wartetest du nicht?«, fragte Marboo vorwurfsvoll. »Ich hatte kaum Zeit, meine Jacke zu schließen.«
»Da sind irgendwo Menschen«, erklärte der dicke Mann. »Wir dürfen ihre Spur nicht verlieren.«
Sie liefen in der Straßenmitte, damit sie sofort gesehen werden konnten. Etwa zehn Minuten später fiel der nächste Schuss.
Kanube behauptete: »Der Schütze befindet sich auf der Parallelstraße, in Richtung des Marcus-Everson-Denkmals.«
»Ich hatte den Eindruck, den Schuss aus allen Richtungen gehört zu haben«, gestand Marboo.
»Das ist der Echoeffekt.« Kanube nickte grimmig.
Sie bogen in eine Seitenstraße ein. Plötzlich blieb der Afroterraner stehen.
»Was ist?«, erkundigte sich Marboo. Der hochgestellte Pelzkragen ihrer Jacke umrahmte ihr hübsches Gesicht. Es war vor Anstrengung gerötet.
»Wer immer es ist, er hat eine Waffe«, sagte Kanube langsam. »Ich habe gerade überlegt, dass wir ziemlich leichtsinnig und voreilig sind. Der oder die Unbekannten könnten Gegner sein – Aphiliker.«
Erwartung und Erleichterung, die Marboos Gesichtsausdruck geprägt hatten, machten jäher Bestürzung Platz. »Aber … wir müssen doch zu diesen anderen Menschen – auch wenn sie Aphiliker sein sollten. Sie sind bestimmt ebenso einsam wie wir. Unter diesen Umständen ist es gleichgültig, was sie sind. Sie werden in jedem Fall daran interessiert sein, mit uns zusammenzuarbeiten.«
Kanube war nicht davon überzeugt. Er konnte sich seine Verunsicherung selbst nicht erklären. Sein Instinkt sagte ihm, dass eine Begegnung mit anderen Menschen Schwierigkeiten bringen konnte.
Schließlich gab er sich einen Ruck und ging weiter.
Sie erreichten die Kreuzung zur Parallelstraße. Nach rechts stieg die Straße leicht an, bis zu dem Rondell, auf dem das Everson-Denkmal stand. Es gab keine Fahrbahn, sondern nur zwei Rollbänder, die längst stillstanden. Der Mittelstreifen der Straße wurde von großen Ahornbäumen gebildet. Alles war vereist.
»Dort hinauf!« Kanube deutete in Richtung des Rondells. »Dort oben müssen sie irgendwo sein. Wir nehmen den Weg zwischen den Bäumen.«
In diesem Augenblick fiel wieder ein Schuss.
»Das kommt aus der Nähe der Hochhäuser rund um das Rondell«, stellte Kanube fest. Dann dachte er: Wenn es Männer sind, werden sie Marboo nachstellen! Er war wütend auf sich selbst, konnte aber nicht verhindern, dass dieser Gedanke sich festsetzte.
Als sie das Rondell fast erreicht hatten, trat Kanube auf die Rollstraße hinaus.
Weiter oben, etwa einhundert Meter entfernt, stand ein riesiger Mann.
»Hierher!«, rief Kanube Marboo zu, obwohl er am liebsten umgekehrt wäre. »Dort steht jemand.«
Die Frau kam zwischen den Bäumen
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