Silberband 088 - Der Zeitlose
hervor. »Ist es nur einer?«, erkundigte sie sich, nachdem sie den Unbekannten gesehen hatte.
»Keine Ahnung«, versetzte Kanube mürrisch. »Vielleicht haben sich noch andere in die Häuser zurückgezogen.«
»Das hört sich an, als würdest du mit einer Falle rechnen.«
Inzwischen hatte der Fremde sie entdeckt. Er winkte mit seiner alten Waffe und kam ihnen entgegen.
Kanube spürte, dass sich etwas in seinem Innern zusammenzog. Unwillkürlich legte er eine Hand auf den Gürtel.
Als er auf den Mann und die Frau zuging, fühlte Jan Speideck Befangenheit. Er konnte sich dieses Gefühl nicht erklären. Nach mehr als einwöchiger Einsamkeit hätte er über dieses Zusammentreffen Freude empfinden sollen, aber er war bestenfalls ein wenig aufgeregt. Er konnte sich diesen Stimmungsumschwung nicht erklären, vielleicht hing er damit zusammen, dass ein Leben allein sehr schnell zur Gewohnheit wurde.
Als er näher kam, stellte Speideck sich die Frage, ob der Mann und die Frau zusammengehörten. Sie waren ein ungleiches Paar, zumindest äußerlich. Diese Frau war in jeder Beziehung eine Schönheit, der Mann hingegen klein und fett, wenngleich mit intelligenten Augen.
Speideck blieb wenige Schritte vor den beiden stehen. Er fühlte wachsende Verlegenheit. Die Stille war geradezu peinlich.
»Hallo«, krächzte Speideck schließlich. »Ich bin froh, dass ich Sie gefunden habe.«
Das ist eine Floskel, dachte er bestürzt. Eine Bemerkung über das Wetter hätte nicht dämlicher klingen können. Aber ihm fiel beim besten Willen nichts anderes ein.
»Wir sind auch froh«, sagte der Untersetzte. Seine Blicke schienen sich an Speideck festzusaugen. »Ich glaube, Sie sind kein Aphiliker.«
Speideck schüttelte den Kopf. »Nein, das heißt – nicht mehr!« Er drehte das Gewehr in den Händen. »Mein Name ist Jan Speideck. Ich bin auf der Suche nach Menschen.«
»Ich bin Sante Kanube«, stellte sich der Schwarze vor. »Die Frau heißt Mara Bootes.«
Speideck glaubte, in der Stimme unterschwelligen Ärger herauszuhören.
Plötzlich richtete Mara eine Frage an ihn: »Sind wir die Ersten, die Sie gefunden haben?«
»Ja«, sagte er lahm. »Die Stadt ist verlassen.«
»Nicht nur die Stadt«, versetzte Kanube, »sondern die gesamte Welt.« Er wirkte angriffslustig, als trüge Speideck einen Teil der Verantwortung für das Verschwinden der Menschheit. »Die Erde ist in den Schlund gestürzt. Für die Dauer von etwa vier Monaten blieb sie irgendwo verschollen, dann erreichte sie eine unbekannte Stelle des Universums. Die Menschheit ging bei diesem Prozess verloren – bis auf wenige Ausnahmen.«
Speideck, der sich noch keine Gedanken von solcher Tragweite gemacht hatte, wünschte, ihm wären Argumente eingefallen, mit denen er Kanube widerlegen konnte.
»Marboo und ich erwachten in einer Heilanstalt«, fuhr der Afroterraner fort. »Es sieht so aus, als hätte uns der Genuss einer Überdosis PILLEN das Schicksal der anderen erspart. Wie ist es bei Ihnen?«
»Ich habe die PILLE niemals genommen«, stieß Speideck hervor. Er berichtete von seinem Kampf mit Galt und davon, wie er erwacht war. »Es ist mir noch immer ein Rätsel, wie Galt aus der Trainingshalle verschwinden und von außen wieder abschließen konnte, ohne den Schlüssel mitzunehmen.«
»Vielleicht hat der Niederschlag Sie gerettet«, meinte Kanube nachdenklich. »Was Sie über Galt erzählen, ist in jedem Fall hochinteressant.«
»Wollen wir stundenlang auf der Straße stehen?« Marboo deutete zu den Häusern auf der anderen Seite. »Dort drüben gibt es zwei oder drei kleine Restaurants. Wir werden uns zwar selbst bedienen müssen, aber dort können wir uns in Ruhe über alles unterhalten.«
Speideck zwang sich dazu, sie nicht anzustarren. Er war sich zum ersten Mal richtig bewusst, dass das Verschwinden der Aphilie mit dem Auftauchen schwer kontrollierbarer Gefühle einherging. Die Sehnsucht nach einem weiblichen Wesen, die ihn in den letzten Tagen beschäftigt hatte, war plötzlich auf ein bestimmtes Ziel fixiert.
Er fing einen Blick Kanubes auf.
Es war eine stumme Warnung.
Obwohl erst Stunden später darüber gesprochen wurde, stand schon unmittelbar nach dem Zusammentreffen fest, dass Speideck bei ihnen bleiben würde. Kanube betrachtete diese Vergrößerung der Gruppe mit gemischten Gefühlen.
Jan Speideck war sicher ein anständiger Bursche, nicht besonders intelligent, aber auf seine Art originell. Er konnte Kanubes Wissen über die Vorgänge nach
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