Silberband 093 - Abschied von Terra
selbstverständlich ein Ertruser. Er hieß Krotur Monks, befand sich an der Schwelle des Greisenalters und konnte, wenn seine zerebrale Arterienverkalkung ihm nicht zu arg zusetzte, ganz umgänglich sein. Orghschletz hatte ihn ausgewählt, weil er wusste, dass Monks ihm weitgehend freie Hand lassen würde.
Die Dienstverpflichteten – beziehungsweise die Menschen – waren noch nie aus der Station herausgekommen. Ihr Sprecher hieß Ansgar Fries, diente im Eisschloss als Instrumentenwärter und machte einen recht intelligenten Eindruck.
Agschbdaaf war mit den Verhältnissen in der Wolke aus Sternenschutt bestens vertraut. Aufmerksam beobachtete er einen bestimmten Ausschnitt der Wolke. Als zwei bizarre Schlackeklumpen in der richtigen Position zueinander standen, gab er das Signal für den Abschuss. Das Kraftfeldkatapult stieß die CASIX aus dem Hangar.
Es sah so aus, als würde der Kreuzer mit den Schlackebrocken kollidieren. Dennoch blieb der Schutzschirm abgeschaltet. Irgendwo vor der gleißenden Sternenfülle des galaktischen Zentrums konnten, ortungstechnisch wegen der Strahlenflut nicht zu erfassen, Raumschiffe der Überschweren oder der Laren patrouillieren. Sie hätten die Emission des Schutzschirms anmessen können.
Aus dem gleichen Grund beschleunigte der Extraterrestrier auch vorerst nicht. Das hatte allerdings auch einen zweiten Grund. In der rund zwei Lichtstunden durchmessenden Wolke aus Sternenschutt gab es nur einen labyrinthartigen Korridor, der frei von Materie war. Ein gefahrloses Manövrieren in der freien Zone erlaubte keine höhere Geschwindigkeit als einen halben Kilometer pro Sekunde.
Agschbdaaf manövrierte mit Hilfe von Korrekturdüsen, deren Schub von einfachen chemischen Reaktionen erzeugt wurde. Sie erfüllten angesichts der geringen Anforderung ihren Dienst, außerdem konnten sie nicht von außerhalb der Wolke angemessen werden.
Stetig wurde die Schiffshülle aus Terkonit-Ynkelonium von staubkorngroßen Partikeln bombardiert, aber nur zweimal prallten faustgroße Materiebrocken auf. Wegen der geringen Geschwindigkeit gab es keine nennenswerten Schäden im Außenbereich.
Endlich stieß die CASIX in den freien Weltraum vor und beschleunigte.
Fries' Augen weiteten sich entsetzt, als er schon nach kurzer Zeit die Wolke nicht mehr sah. Er fing sich jedoch erstaunlich schnell wieder, und schließlich trat in seine Augen ein begehrliches Glitzern – die Folge des Glücksgefühls, das der schnelle Flug zwischen den Sternen bei den meisten Intelligenzen hervorrief. Dieses Gefühl war prinzipiell positiv zu bewerten, es konnte die Psyche aber auch zum Negativen verändern.
»Niemand kann die Sterne erobern, Fries«, sagte Orghschletz deshalb. »Viele haben es geglaubt, aber alle wurden entweder von ihrem Wahn geheilt oder trieben ihre Zivilisation in den Untergang. Alles, was Intelligenzen erobern können, ist die Einsicht, dass sie ein vergängliches Produkt einer kurzen Entwicklungsphase des Universums sind.«
Fries sah den Extraterrestrier ungläubig an. »Meinen Sie das im Ernst? Das würde doch bedeuten, dass unsere Existenz sinnlos ist …«
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, erwiderte Orghschletz. »und bin zu der Auffassung gekommen, dass nichts im Universum sinnlos ist, nicht einmal das Werden und Vergehen einer einzigen Zelle. Wir alle sind zwar vergänglich, aber damit ist unsere derzeitige Existenzform gemeint. Aus unserer Gesamtheit werden neue Existenzen hervorgehen, die wir uns heute noch nicht vorzustellen vermögen.«
»Wir wechseln in dreißig Sekunden in den Linearraum!«, rief Agschbdaaf.
Ansgar Fries nickte. Er hielt sich an den Armlehnen seines Sessels fest und presste die Lippen zusammen. Als auf der Panoramagalerie die Sterne des Zentrums verschwanden und den schemenhaften Phänomenen des Linearraums wichen, stöhnte Fries verhalten.
Orghschletz konnte nicht lächeln, sonst hätte er es in diesem Augenblick getan. Er wusste, dass er den Menschen des Eisschlosses dadurch, dass er einige von ihnen mit in den Weltraum genommen hatte, ein Geschenk machte. Es würde dazu beitragen, dass alle Bewohner des Eisschlosses eines Tages frei und gleichberechtigt sein würden – wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkam.
Und eines Tages, so hoffte der Extraterrestrier, würde er oder einer seiner Nachkommen das Raumschiff führen, das nach der Heimatwelt seines Volkes suchen sollte. Das war die große Sehnsucht, die ihn erfüllte, seit er begriffen hatte,
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