Silberband 094 - Die Kaiserin von Therm
Vorbereitungen für die Feierlichkeiten der ›Großen Frucht‹ waren nahezu abgeschlossen, so dass Gralsmutter Quoytra sogar Zeit fand, ihre acht Jüngerinnen, auch Gralstöchter genannt, in transzendentalen Spielen auszubilden.
Quoytra, eine verhältnismäßig junge Gralsmutter, war untersetzt und stämmig. In ihrer resoluten Art unterschied sie sich erheblich von anderen Kelsirenfrauen in dieser Position. So war es kein Wunder, dass in Salkoor die praktischen Dinge eine größere Bedeutung besaßen, als es auf Drackrioch allgemein üblich war.
Überall pflegte Quoytra selbst mit Hand anzulegen, und über die Pflege der Gärten hinaus hatte sie für ein gutes Bewässerungssystem gesorgt. So kam es, dass die Gärten von Salkoor die anderer Ansiedlungen an Schönheit und Vielfalt übertrafen. Der Vorwurf, deshalb ihre Meditationen zu vernachlässigen, traf Quoytra nicht. Sie trug ihren großen Kristall mit Stolz und trat regelmäßig mit der Kaiserin in Verbindung. Darüber hinaus hatte sie oft bewiesen, dass ihre Gralstöchter und die anderen Gruppen in der Ausübung psionischer Tätigkeiten niemandem unterlegen waren.
Als die Gralsmutter von Salkoor sich an diesem Morgen dem Zentrum des Dorfes näherte, war sie gespannt auf die erste Begegnung mit den Fremden. Nach dem üblichen Ritual berührte sie mit ihrem Kristall den leuchtenden Ausläufer der Duuhrt. Das helle Licht schien auf sie überzuspringen.
Nachdem sie die Pläne der Herrscherin erfahren hatte, richtete Quoytra sich wieder auf. Jeder Kontakt ließ eine vorübergehende Benommenheit zurück, die aber bald wich.
Am Rand des Platzes wartete Dollg auf sie.
Wie immer, wenn Quoytra einen männlichen Artgenossen vor sich sah, wurde sie ungeduldig. Die Kelsirenmänner waren den Frauen in jeder Beziehung unterlegen. Sie nahmen nicht am Psi-Training teil, und ihre Gärten waren ziemlich kümmerlich anzusehen. Trotzdem hätten die Kelsirenfrauen ohne ihre männlichen Artgenossen bald den Blick für die Wirklichkeit verloren und sich nur noch mit übersinnlichen Dingen beschäftigt.
Die Männer waren die unersetzliche Brücke zur Realwelt. Schon deshalb wäre jede offen zur Schau gestellte Ablehnung ein Fehler gewesen.
Quoytra bezähmte ihren Unwillen und begrüßte Dollg mit einer freundlichen Geste. Sie war nicht nur wesentlich kräftiger, sondern überragte ihn auch um Kopfeslänge. Fast alle Frauen waren ihren Artgenossen des anderen Geschlechts körperlich überlegen. Diese Ausprägung reichte bis zu den Anfängen der Zivilisation zurück, als die Kelsiren noch im Wasser gelebt hatten.
Die Anerkennung der Männer hatte noch einen zweiten Grund: die Arterhaltung. Einmal im Jahr legte jede junge Kelsirenfrau zwei oder drei Eier in Wassernestern ab. Diese wurden anschließend von den Männern besamt. Aufgrund dieser Art der Fortpflanzung gab es keine zweigeschlechtlichen Gemeinschaften, Frauen und Männer lebten jeweils für sich.
In der Kelsirenzivilisation dominierten die Frauen in allen Belangen, so dass sich schon sehr früh in der Evolution ein Matriarchat herangebildet hatte. Während ihrer Entwicklung hatte die Kaiserin von Therm diese Gegebenheiten kritiklos übernommen und ein weibliches Selbstverständnis erlangt. Das, dachte Quoytra zufrieden, war ein deutliches Symbol für die Verbundenheit der Gralsmütter mit der Superintelligenz.
»Du bist früh unterwegs«, begrüßte sie Dollg. Sie konnte sich diese Anspielung auf die Faulheit und Langschläfrigkeit der Männer nicht verkneifen.
Dollg blinzelte in Richtung der Sonne, die ihre Strahlen durch die Lücken im Körper der Kaiserin schickte, als müsste er sich vergewissern, ob das Zeitgefühl der Gralsmutter intakt war. »Ich wache selten später auf«, behauptete er unverfroren. »Diesmal jedoch bin ich aus einem besonderen Grund unterwegs.«
Quoytra seufzte, denn sie ahnte, was auf sie zukam. Die Männer waren streitsüchtig und legten sich auch aus nichtigem Anlass miteinander an. In der Regel wurden solche Differenzen von ihnen selbst beigelegt oder aus Trägheit einfach vergessen, aber manchmal kam es vor, dass die Gralsmutter zur Schlichtung eines Streites beitragen musste.
Dass Dollg im Begriff stand, sie in einer solchen Angelegenheit zu bemühen, machte Quoytra verdrossen. Ausgerechnet so kurz vor der Ankunft der Fremden.
»Wende dich an eine der Gralstöchter!«, forderte sie den Mann auf. »Man wird sich um dich kümmern, wenn deine Schwierigkeiten Gewicht haben.«
Dollg
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