Silberband 094 - Die Kaiserin von Therm
hatten, beruhigten sich bei diesem erbaulichen Anblick.
»Geht und sucht eure Wiegen auf, meine Blass-Schönen!«, riet Bluter. »Lasst euch von Tröster trösten, Heiler wird euch genesen lassen, und Spender soll euch mit allem versorgen. Beherzigt meinen Rat, damit ihr morgen noch schön und blass sein könnt.«
»Morgen sind wir tot!«, keifte Träner.
»Sollen wir uns von den Zöcken verstümmeln lassen?«, rief ein anderer. »Lieber sterben wir in Schönheit.«
»Hüter wird uns beschützen!«, verkündete Bluter und stellte unsicher die Frage in den Raum: »Ist es nicht so, Hüter?«
»Ich werde die Große Wiege der nach Vollkommenheit strebenden Croisloner mit allen Mitteln gegen die Todesspirale verteidigen«, antwortete Hüters allmächtige Stimme.
Bluter ließ sein Milchblut wieder in seinen Poren versickern. Er blickte zu Belami, der sich noch nicht bewegt hatte. »Wieso bist du noch bei dir?«, fragte das Sippenoberhaupt den Initianden. »Ich sehe, dass du die Blässe deiner Haut verloren hast, aber du kämpfst gegen die Ohnmacht an.«
»Ich weiß nicht, wieso«, gestand Belami unsicher. »Ich finde, dass die Flucht vor der Realität keine Lösung bringt.«
»Das ist blasphemisch!«, entfuhr es Bluter erregt. »Aber es sei dir wegen deiner Unreife entschuldigt.«
»Ich bin initiiert«, erklärte Belami.
Bluter gab keine Antwort. Stattdessen sagte er: »Suche deine Wiege auf. Tröster soll dich trösten, Heiler …«
»Ich fühle mich nicht krank«, begehrte Belami auf.
»Eben«, sagte Bluter traurig. »Dann versuche wenigstens, es zu sein.« Damit wandte er sich ab, doch Belami verspürte wenig Lust, sich zu verkriechen und von den dienstbaren Geistern einlullen zu lassen. Zögernd durchquerte er den Tempel und stieg über die reglosen Körper jener hinweg, die den Freitod gewählt oder einfach abgeschaltet hatten.
Die Ruhe war zurückgekehrt.
»Tröster«, hörte Belami den Sippenführer der Blass-Schönen vorwurfsvoll sagen, »wie konntest du es zulassen, dass Warner meine liebreizenden Kinder schockierte?«
»Melder wollte nicht auf mich hören«, rechtfertigte sich Tröster. »Er hat sich bewusst gegen die Ordnung aufgelehnt, er ist ein Rebell.«
»Melder?«, fragte Bluter.
»Ich bin nur meiner Aufgabe nachgekommen«, antwortete der Angesprochene. »Soll ich euch vor Gefahren warnen, oder soll ich euch Hymnen vorsingen? Letzteres ist nicht meine Aufgabe – ich muss euch die Realität aufzeigen.«
»Damit hast du viele Blass-Schöne und andere in den Tod getrieben«, sagte Tröster vorwurfsvoll.
»Wie viele sind den leichten Weg gegangen?«, erkundigte sich Bluter.
Die Antwort kam von Heiler: »Siebzehn Croisloner sind entschlafen. Drei von ihnen entstammen dem Geschlecht der Blass-Schönen. Ich werde ihre sterblichen Überreste mit viel Feingefühl behandeln, dann werden sie auch im Tod wieder schön.«
Diese Heuchelei war Belami zuwider. Musste erst die Kunst von Heiler herhalten, damit die toten Blass-Schönen ihre Attribute zurückerhielten, deren sie sich als Lebende rühmen konnten? Warum ließ man die Blass-Schönen nicht die Wahrheit erkennen, nämlich dass der Tod hässlich machte und keineswegs erstrebenswert war?
Belami schrieb sein Unverständnis seiner Unreife zu und beschloss, sich doch in eine Wiege zurückzuziehen. Allerdings geschah etwas, das ihn diesen Entschluss sofort rückgängig machen ließ.
»Hüter, wird es zum Kampf kommen?«, fragte Buggel von den Grazil-Krummen, der gerade in den Tempel gehumpelt kam.
»Es wird bereits gekämpft!«, berichtete Hüter.
»Wie kannst du …?«, wollte Tröster aufbegehren, doch Bluter brachte ihn zum Verstummen.
»Wir wollen keine Ausflüchte, sondern die Wahrheit hören! Hüter, sage uns, wie unsere Chancen stehen.«
»Wollt ihr die Wahrheit wirklich hören?«, fragte Hüter.
»Wir wollen eine ehrliche Antwort.«
»Dann kommt mit den Anführern der anderen vier Geschlechter in die Seher-Lauscher-Kombination!«, bat Hüter.
Das gab für Belami den Ausschlag. Er beschloss, sich den Sippenoberhäuptern anzuschließen.
Bluter fröstelte an diesem kalten, unpersönlichen Ort, wo Hüter und Tröster, Spender, Melder und Lauscher und alle anderen dienstbaren Geister ihren Sitz hatten. Er kam nur her, wenn es unvermeidbar war, denn so warm und einschmeichelnd die Stimmen der Geister klangen, ihre Manifestationen waren geradezu abstoßend hässlich.
Als er die Lauscher-Seher-Kombination betrat, hatte er sich
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