Silberband 095 - Mensch aus dem Nichts
ihm merkwürdig, dass der Erbauer des Labyrinths ihn ungestört hatte schlafen lassen, und das gleich mehrere Stunden lang. Kershyll Vanne hatte allerdings kein Interesse daran, sich deshalb den Kopf zu zerbrechen. Er ging in die angrenzende Hygienezelle und erfrischte sich.
Als er eine Stunde später die kleine Wohnung verließ, war er satt, sauber und sogar frisch eingekleidet. An seinem Gürtel baumelte eine geladene Waffe, außerdem hatte er einen Handscheinwerfer gefunden und mitgenommen.
Nach wie vor wusste er nicht, wo er sich befand. Ihm war nur klar, dass er in Gefahr schwebte.
Vorsichtig lief Vanne wieder durch die Gänge, und dabei suchte er vergeblich nach Orientierungshilfen. Offenbar kannte sich sein Widersacher in diesem Irrgarten auch ohne Hinweise hervorragend aus – das sprach entweder für die Qualitäten des Erbauers oder dafür, dass die Anlage nicht zu groß sein konnte.
Nach einem ereignislosen Marsch von fast einer Stunde war Kershyll Vanne überzeugt davon, dass der Bewohner des Labyrinths ein überaus gutes Gedächtnis haben musste, wenn er sich ohne Wegweiser zurechtfand.
Er hatte Dutzende von Räumen flüchtig untersucht. Es gab alles, was ein Mensch zum Überleben brauchte. Beinahe erschien es ihm, als hätte jemand hier eine Notunterkunft für mehrere hundert Menschen schaffen wollen. Es gab Wohnungen, Vorratsräume, Gemeinschaftszimmer, eine Bücherei und vieles mehr. Der größte Teil der Räume war hermetisch versiegelt worden, so dass Vanne nicht feststellen konnte, wann die Zimmer zum letzten Mal belegt worden waren, ob sie überhaupt je benutzt worden waren.
Er fragte sich, woher die Energie kam, mit der alle Räume klimatisiert und beleuchtet wurden. Angesichts der Größe der Anlage musste die Versorgung beachtliche Dimensionen erreichen – folglich gab es irgendwo in dieser Welt eine Art Maschinenzentrale.
Kershyll Vanne wusste, dass er mit der Suche nach einer solchen Zentrale ein großes Risiko einging, trotzdem sah er keine andere Wahl. Nur mit unerhört viel Glück hätte er einen Ausweg aus dem Labyrinth gefunden.
Vieles schien mittlerweile dafür zu sprechen, dass der Bereich, in dem er sich bewegte, abgeschlossen war. Der Zugang zu dem Labyrinth wäre demnach nicht in der Horizontalen, sondern in der Vertikalen zu suchen gewesen. Eine Öffnung, die auf einen Antigravschacht hingedeutet hätte, hatte Vanne aber bislang nicht entdeckt. Vermutlich waren sogar die Antigravschächte versteckt, es fragte sich nur, wo.
Vannes Blick blieb auf einem Feuermelder hängen, der seine Verwunderung erregte. Was hatte ein geradezu vorsintflutlicher Feuermelder in dieser technisch modernen Verwirrwelt zu suchen? Es handelte sich um einen rot lackierten Metallkasten, in dem, auf weißem Grund, ein dicker schwarzer Knopf zu sehen war. »Im Notfall niederdrücken!«, las Vanne den ausschließlich in Interkosmo angebrachten Text.
Er sah sich das Objekt genauer an. Es widersprach jeder Vernunft, musste man jedes Mal vor dem Benutzen eines Antigravs die Glasscheibe einschlagen. War der Melder also echt? Vanne streckte die Hand aus. Geräuschlos glitt der schwarze Knopf ein Stück zurück. Jetzt erst merkte der Psychomathelogist, dass er auf eine Täuschung hereingefallen war. Der rote Kasten diente nur dazu, die Einstiegsöffnung für den Antigrav verschwinden oder auftauchen zu lassen.
Kershyll Vanne schwang sich in das im Boden entstandene Loch. Langsam schwebte er in die Tiefe.
Hathor Manstyr hatte auf Schlaf verzichtet, weil ihm das Problem des Eindringlings keine Ruhe ließ. Der Mann war plötzlich verschwunden, als habe ihn der Erdboden verschluckt. Stunden hatte der Vario-500 ergebnislos damit verbracht, nach dem Unbekannten zu suchen. Die Dreistigkeit, sich in einer der Notwohnungen zu verstecken, traute der Vario dem Fremden nicht zu.
Eine Kontrollanzeige signalisierte, dass die Verkleidung eines Antigravschachts geöffnet worden war. Der Vario konnte das mit einem Funkbefehl bewerkstelligen, jeder andere musste sich des vermeintlichen Feuermelders bedienen.
Rasch lokalisierte der Roboter das Signal. Sein Zellplasmateil war entsetzt, denn der Fremde bewegte sich zielstrebig auf die Maschinenzentrale zu. Der Unterwelt Olymps drohte damit Gefahr.
Manstyr aktivierte das Sicherheitssystem der zweiten Etage. Er verzog die dünnen Lippen zu einem Lächeln. Hier würde der Fremde nicht entkommen.
Kershyll Vanne ahnte, dass er auf dem richtigen Weg war. Immer öfter kam er
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