Silberband 098 - Die Glaswelt
der letzten Tage war vergessen.
»Sie haben meine Heimlichtuerei so lange ertragen, dass ich mich fast schuldig fühle«, erklärte er. »Ich will Ihnen wenigstens einen Teil des Hintergrunds erklären. Der Plan der Vollendung, den Sie miterleben, wurde zwischen ES und NATHAN vereinbart. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass sich NATHAN abschalten sollte, sobald die Erde in den Schlund stürzte. Den Grund dafür kennen Sie. ES wusste, dass die Erde in einer fremden Galaxis rematerialisieren würde. Es galt, dem wartenden Gegner das Geheimnis der Erde und ihrer Menschheit vorzuenthalten, schon gar nicht durfte er wichtige Informationen über NATHAN erhalten.
Da es sich bei dem Widersacher BARDIOC ebenfalls um eine Superintelligenz handelt, reichten die üblichen Sicherheitsvorkehrungen nicht aus. ES musste zu ausgefallenen Methoden greifen. Die Vereinbarung über An- und Abschaltung der Hyperinpotronik wurde im Übrigen zwischen ES und nur dem positronischen Teil des Rechners getroffen. NATHANs Bioplasma-Anteil schied in diesem Fall aus, weil er auf parapsychischem Wege beeinflussbar ist und nicht ausgeschlossen werden konnte, dass BARDIOC solche Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Es wurde vereinbart, dass NATHAN erst dann die Versorgung der Erde wieder aufnehmen durfte, wenn er sich durch eigene Beobachtung davon überzeugt hatte, dass der Planet wieder von Menschen besiedelt war. Auch über die Zahl der auf Terra lebenden Menschen wurde ein Abkommen getroffen – es mussten wenigstens zwei Milliarden sein.
Diese Übereinkunft wurde in die Grundprogrammierung des positronischen Bereichs der Hyperinpotronik aufgenommen. Diese ist, wie Sie wissen, von außen unangreifbar. NATHAN würde sich eher selbst zerstören, als dass er einen Eingriff in sein Basisprogramm zuließe. Die Programmierung war daher auch von ES nicht veränderbar – auch dann nicht, als dies aufgrund verschiedener Ereignisse wünschenswert wurde. Bevor NATHAN wieder eingeschaltet werden konnte, war die Forderung zu erfüllen, dass sich auf der Erde mindestens zwei Milliarden Menschen befänden. Erst dann war die Positronik bereit zu glauben, dass die Gefahr BARDIOC gebannt sei. NATHAN kann zwischen Menschen und Konzepten nicht unterscheiden. Er hat gesehen, dass Terra sich wieder bevölkerte, das genügte ihm.«
»So ganz stimmt das nicht«, bemerkte Jentho Kanthall nach einigem Nachdenken. »NATHAN arbeitet schon lange für Sie – und das mit voller Kapazität, wie wir wissen.«
Grukel Athosien lächelte.
»Aufgrund einer Sondervereinbarung mit ES«, erklärte er. »Diese Sondervereinbarung konnte nur dann wirksam werden, wenn ES ein bestimmtes Signal gab. NATHANs Tätigkeit konnte durch Geben eines Gegensignals sofort wieder unterbunden werden. Einmal trat dieser Fall auch ein – obwohl Sie das wegen der Kürze der Zeit wahrscheinlich nicht bemerkt haben.«
»Wann war das?«
»Als ich mich kurzfristig von Luna absetzen musste. Damals, als die Hulkoos den Mond angriffen und Luna sich in einen Paratronschirm hüllte.«
»Schön«, sagte Jentho Kanthall. »Jetzt steht uns NATHAN also voll und ganz wieder zur Verfügung?«
»Weder voll noch ganz«, antwortete Grukel Athosien belustigt. »EDEN II benötigt den Ausstoß der Produktionsmaschinerie noch eine Zeit lang. Das dürfte Sie wenig kümmern, denn an NATHANs Produktion sind Sie nicht interessiert, solange auf der Erde kaum mehr als eintausend Menschen leben. Die Dienstleistungen dagegen sind alle wieder da. NATHAN wird sich bemühen, das Klima unter Kontrolle zu bringen. Der öffentliche Verkehr ist wiederhergestellt, und es sind ganze Armeen von Robotern an der Arbeit, die zerfallenen Städte wiederherzurichten.«
»Es gibt noch eine Einschränkung«, erinnerte Kanthall.
Athosien wusste sofort, worauf er anspielte.
»Sie haben recht. NATHAN wird nicht mehr Kriegsschiffe am laufenden Band herstellen. Die Produktion militärischer Einheiten richtet sich nach dem jeweiligen Verteidigungsbedarf.«
»Das ist eine Einschränkung, die mir nicht gefallen will«, sagte Kanthall. »Ich weiß, dass ich an der Sache nichts ändern kann. Aber nach meiner Ansicht gibt es nur eine Autorität, die über den Bedarf der Menschheit an Kriegsschiffen entscheiden kann, und das ist die Menschheit selbst.«
»Obwohl diese Bestimmung Ihnen Unbehagen bereitet, muss ES sie letzten Endes doch zum Nutzen der Menschheit getroffen haben. Fragen Sie mich nicht, wie ich mir das plausibel mache – ich
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