Silberband 099 - Treibgut der Sterne
Haine stand die ›Villa des Obmanns‹, die zu einer Art Denkmal geworden war. In diesem Gebäude war irgendwann einmal die Mission von Plophos untergebracht gewesen. Marboo wusste nicht genau, wann, gleichwohl entsann sie sich, dass Iratio Hondro hier den aufsässigen Obmann gespielt und später den Zwist zwischen Plophos und dem Solaren Imperium geschürt hatte.
»Wie gefällt dir das?«, fragte Bosketch gut gelaunt. Das waren seine ersten Worte seit einer kleinen Ewigkeit.
»Ein schönes Haus«, antwortete Marboo.
Bosketch landete im Hof. Marboo stieg vor ihm aus.
In derselben Sekunde fauchte eine Bö über das Gebäude hinweg. Marboo wurde herumgewirbelt, die Luft war voll Staub und Sand, losgerissenen Ästen und Grasbüscheln. Sie hatte die Arme hochgerissen, um ihr Gesicht zu schützen, und sah nicht viel mehr als tobende Schleier.
Schritt für Schritt kämpfte sie sich weiter, aber schon war Bosketch neben ihr. »Die Zeichen werden deutlicher!«, keuchte er. »Das alles wird unser Tod sein.«
Walik Kauk nahm an, dass sich Marboo verborgen hielt, bis sie sicher sein konnte, dass es keine Transmitterverbindung nach Luna mehr gab. Er rief über Interkom nach ihr und gab ihr zu verstehen, dass die Transmitterstraßen bereits unterbrochen seien. Als er nach über einer Stunde noch immer keine Antwort hatte, ahnte er, dass Schlimmeres vorgefallen sein musste.
Die Bosketch-Leute hatten ihre Quartiere noch entlang der großen Nord-Süd-Achse. Walik rief dort an. Auf dem Schirm erschien Ver Bix' Gesicht. Bix war früher Höhlenforscher gewesen und hatte sich Bosketchs Gruppe angeschlossen, später war er mit Jentho Kanthall aneinandergeraten und hatte dabei den Kürzeren gezogen. Die Niederlage musste etwas in seinem bis dahin verwirrten Gemüt zurechtgerückt haben. Seit jenem Tag konnte man wieder vernünftig mit ihm reden.
Bix schien verwundert über den Anruf. »Was gibt es?«, fragte er. »Ist die Evakuierung abgeschlossen?«
»Jemand ist dabei verloren gegangen. Ich will mit Bosketch sprechen.«
Bix, ein Hüne von Gestalt, fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er wirkte besorgt. »Ich habe Glaus seit heute Mittag nicht mehr gesehen. Keine Ahnung, wohin er verschwunden ist.«
»Wer führt die Gruppe während seiner Abwesenheit?«
»Ich nehme an, ich.«
»Du nimmst an …?«
Bix machte eine ungewisse Geste. »Wir sind ein ziemlich lockerer Verein«, versuchte er, sich zu entschuldigen. »Außerdem war Bosketch bislang nie weg.«
»Marboo ist ebenfalls verschwunden! Sie ist nicht auf Luna, und ich mache mir Sorgen um sie. Hält sie sich bei euch versteckt?«
»Ich bin sicher, ich hätte davon erfahren. Aber ich frage nach.« Ver Bix lächelte matt. »Ich melde mich sofort wieder.«
Während Walik Kauk wartete, machte er sich Vorwürfe, dass er Marboo einfach weggeschickt hatte. Er hätte wissen müssen, wie schwer es ihr fiel, sich in dieser gefährlichen Zeit von ihm zu trennen. Es hatte Jahre gegeben, da war er überzeugt gewesen, Liebe sei nichts anderes als die Erfindung altmodischer Spinner.
Er fühlte sich hilflos. Als Homer G. Adams verkündet hatte, Terra werde in kurzer Zeit ins Solsystem zurückkehren, hatte niemand wirklich die Begeisterung empfinden können, die damit eigentlich verbunden sein musste. Sie alle waren offensichtlich zum Spielball einer übergeordneten Macht geworden, die mit ihrem Schicksal nach Belieben verfuhr, ohne jemandem den Zweck dieser Spielerei zu verraten.
Keiner hatte sich die Mühe gemacht, darüber nachzudenken, was aus Terra werden würde, wenn Medaillon Tage, womöglich Wochen vor seiner Verwandlung in ein Schwarzes Loch aufhören würde zu strahlen und ewige Nacht sich über die Welt senkte. Sämtliche Vegetation würde zugrunde gehen, für die Tiere gab es keine Überlebenschance. Nach wenigen Wochen musste die Atmosphäre kondensieren und sich als Eis niederschlagen. Imperium-Alpha konnte sich vielleicht noch eine Zeit lang halten – aber schließlich mussten auch hier die Energiereserven erschöpft sein, und was dann?
Warum hatte bislang niemand darüber nachgedacht? Weil hinter all diesen Vorgängen die Majestät von ES stand. ES würde dafür sorgen, dass der geliebten Erde nichts geschah. ES würde Terra in den Mantel seiner Gnade hüllen und vor unliebsamen Einflüssen beschützen.
ES liebte die Erde und ihre Menschheit.
ES würde alles richtig machen!
Mein Gott, dachte Walik Kauk, und wenn wir uns nun täuschen?
Ver Bix meldete sich
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