Silberband 099 - Treibgut der Sterne
Zwotter sind meine Freunde.« Er wandte sich halb um und rief den Namen des Wesens.
Virna verkrallte sich in Harzel-Kolds Gewand, als der Gerufene auftauchte. Er war ein Zwerg von etwa einem Meter dreißig Größe, durchaus humanoid, aber ungewöhnlich proportioniert. Der Kopf beanspruchte ein Drittel der gesamten Körpergröße, war völlig kahl und hatte ein derbes Gesicht. Die lehmfarbene, je nach Lichteinfall auch bronzen wirkende Haut erinnerte an gegerbtes Leder. Die Augen lagen tief in den Höhlen, anstelle der Brauen befanden sich faltige Hautwülste, von Sehnen- und Muskelbündeln umgeben. Virna stellte fest, dass diese Hautwülste nichts anderes als Lider waren, mit denen der Zwotter die Augenhöhlen abdichten konnte.
Der Körper wirkte im Vergleich zu dem Kopf geradezu grazil, Arme und Beine waren relativ kurz, jedoch feingliedrig. Die Füße schienen etwas zu groß geraten, was nicht weiter verwundern durfte angesichts des Umstands, dass der Schwerpunkt der gnomenhaften Gestalt wegen des überdimensionalen Kopfes viel zu hoch lag.
»Du hast Virna mit deinem Anblick erschreckt«, sagte Harzel-Kold tadelnd. »Es wäre nur recht, dass du dich bei ihr entschuldigst.«
Der Zwotter spitzte seinen breiten Mund. »Was leid, was leid, Madame«, sang er mit melodiöser Stimme.
»Nicht doch«, wehrte Virna ab, und sie musste sogar lächeln. Der Zwotter hatte alle Schrecken für sie verloren, sie fand ihn jetzt, bei der direkten Konfrontation und unvoreingenommen betrachtet, geradezu liebenswert. »Es liegt an mir, ich habe mich albern benommen.«
»Blinizzer tröstlich, über sehr tröstlich Blinizzer«, sang der Zwotter tremolierend und zog sich rückwärtsgehend zurück.
»Ich habe versucht, den Zwottern die vincranische Sprache und Interkosmo beizubringen«, erklärte Harzel-Kold. »Sie sind wahre Genies, was das Verstehen fremder Sprachen betrifft, aber artikulieren können sie sich darin nicht. Das liegt daran, dass es bei ihnen nicht auf das Wort als solches ankommt, sondern auf Betonung und Klangregeln. Deswegen ist es uns unmöglich, ihre Sprache zu erlernen. Komm, Virna, ich will dir meine Welt zeigen. Nach dem morgendlichen Hagel ist Zwottertracht am schönsten.«
Die Luft war rein und würziger als auf Gäa. In der einen Richtung reichte der Blick bis zum Horizont, nach den anderen Seiten wurde er von riesigen Kakteengewächsen und von dem wuchtigen Gebäude verdeckt.
Die ursprünglich faustgroßen Hagelkörner schmolzen schnell, das Wasser versickerte im sandigen Boden. Nur auf den Stachelspitzen der Riesenkakteen hielten sich die Wassertropfen länger. Sie glitzerten auch auf dem moosigen Gras, das ringsum den Boden bedeckte.
Mehrere Zwotter erschienen, winkten ihnen zu, sangen einen Gruß und verschwanden hinter den Pflanzen. Virna registrierte, dass die Sicht nicht mehr so weit reichte wie vor einigen Minuten. Der Wind wirbelte goldene Staubfontänen hoch, die als flimmernde Schleier in den Himmel aufstiegen und rasch näher kamen.
»Bald wird das Land wieder hinter Staubwolken versteckt sein«, sagte Harzel-Kold. »Die Sicht reicht nur für wenige Minuten so weit wie vorhin.«
Er setzte sich in Bewegung, und Virna folgte ihm.
»Die Oase, in der ich mich niedergelassen habe, ist vergleichsweise klein«, erzählte er weiter. »Aber ich habe diese ausgesucht, weil das Wasser von besonderer Qualität ist und weil sie in der Nähe bedeutender Kulturzeugnisse der Urbevölkerung liegt. Außerdem ist hier das Wetter beständig. In der Oase kann man sich am Tag fast jederzeit frei bewegen. Nur wenn die Sturmsirene ertönt, sollte man sich ins Haus zurückziehen. Merk dir das, Virna.«
Ein betörender Duft ging von den Kakteen aus. Als Virna die Luft tief einsog, war sie für einen Moment wie berauscht.
Sie blickte zu dem Gebäude zurück. Es war lang gestreckt und niedrig, mit trutzig wirkenden, leicht schrägen Mauern. Die Wände glitzerten wie der goldene Wüstensand, hatten aber einen leicht rötlichen Farbton. Vor allen Fenstern und Türöffnungen befanden sich Läden aus dem schieferartigen Material, die in Schienen liefen. Der bunkerartige Komplex erinnerte Virna an eines der terranischen Wüstenforts, wie sie es aus Geschichtsbüchern kannte.
»Das Gebäude wurde von den Zwottern nach meinen Angaben erbaut«, erklärte Harzel-Kold. »Bei der Planung habe ich mich von der Architektur der Urbevölkerung inspirieren lassen. Viel ist von ihnen nicht mehr da, nur einige wenige Ruinen. Das
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