Silberband 099 - Treibgut der Sterne
Panik stieg in ihr auf. Sie fürchtete, dass sie sich barbarischen Ritualen würde unterwerfen müssen. Aber obwohl ihre Befürchtungen nicht in vollem Umfang zutrafen, wurde die Zeit in dieser Höhle zu einem Albtraum. Sie konnte nichts sehen, die Schreie ringsum schluckten alle anderen Geräusche. Und dann schrie Virna in ihrer Qual ebenfalls.
Sie registrierte es kaum, als ihr in der Finsternis die Kleider vom Leib gestreift wurden. Aber sie empfand es als erleichternd, als irgendwer ihren prallen Bauch mit einer kühlenden Flüssigkeit einrieb.
Ihre Arme wurden zusammengebunden. Jemand drückte ihr etwas zwischen die Zähne. Dann verband man ihr die Augen, verstopfte ihr die Ohren, und ein breites Tuch spannte sich um ihre Leibesmitte, wurde fester angezogen, zusammengeschnürt.
Danach geschah lange Zeit nichts. Virna hatte in diesem unendlichen Augenblick nur noch den Wunsch zu sterben. Doch sie starb nicht, und als die Schmerzen aufhörten, fühlte sie unsagbare Erleichterung. Jemand löste ihre Fesseln und drückte ihr etwas in die Hand. Nachdem man ihr auch die Stöpsel aus den Ohren genommen hatte, hörte sie das Etwas schreien.
Ihr Kind war geboren. Es war ein Sohn, aber das hatte sie längst schon gewusst.
Sie wurde in eine kleine Nische getragen. Dort schlief sie mit dem Neugeborenen in den Armen ein. Als sie erwachte, musste sie feststellen, dass sie eingemauert worden war. Es gab nur ein kleines Loch, durch das sie Nahrung erhielt. Virna wusste nicht, was ihr vorgesetzt wurde, sie aß es dennoch mit Heißhunger.
Sie stumpfte ab, zählte nicht die Mahlzeiten, hätte später auch nicht sagen können, wie oft sie ihr Kind stillte. Als sie freigelassen wurde, empfand sie weder Freude noch Erleichterung. Man wickelte ihr Kind in eine Decke. Dafür war sie dankbar, denn sie hatte Angst, es ansehen zu müssen.
Letztlich blieb ihr das doch nicht erspart. Am Ausgang der Höhle wickelten die Zwotter den Säugling aus. Sie strahlten vor Stolz, wie es leibliche Väter nicht aufrichtiger hätten tun können. Virna hingegen schrie vor Entsetzen, als sie das Kind sah. Sie bekam nur einen verschwommenen Eindruck von etwas Weißem, Fleischigem mit einem großen Kopf wie von einem Zwotter, aber mit einer wuscheligen Haarpracht. Das Kind hatte große Augen mit zwingendem Blick.
Ein Zwotter nahm ihr das Bündel ab.
»Vorbehalten, aber zurückbleiben?«, sang ein anderer. »Vorbleiben, wenn zurückbehalten?«
»Ja, ja, behaltet es!«, rief Virna erleichtert. Sie war sicher, dass es das Beste für sie und das Kind war, wenn es von den Zwottern großgezogen würde. »Das Kind gehört euch, ich will es nicht.« Sie empfand keine Gewissensbisse. Es war im Grunde genommen nicht ihr Sohn, sie hatte ihn nur ausgetragen.
Blinizzer erwartete sie am Ende der Schlucht mit dem Geländewagen. Sie fuhren schweigend zur Oase. Auf dem Landefeld stand neben Harzel-Kolds Raumschiff ein zweites.
Dann tauchte Galinorg auf. »Ich dachte, ich schaue mal vorbei, wie es Ihnen geht.«
»Sie kommen wie gerufen.« Virna fiel ihm förmlich um den Hals. »Bringen Sie mich nach Gäa zurück. Ich muss das alles hier vergessen. Galinorg, Sie schickt …« Sie brach abrupt ab und fügte nach einer Weile nachdenklich hinzu: »Vielleicht wurden Sie tatsächlich gerufen. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Hauptsache, Sie nehmen mich mit.«
Januar 3586
»Wie kommt es, dass du über die Geschehnisse von damals Bescheid weißt?«, fragt die Ambiente-Psychologin. »Du erwähnst Details, die nur beteiligte Personen wissen können, sprichst über Gefühle und Beweggründe anderer wie über deine eigenen. Ich habe den Verdacht, dass du deine Erzählung damit nur ausschmücken willst.«
»War ich nicht einer der Beteiligten?«
»Du warst ungeboren.«
»Was macht das schon. Virna Marloy hatte von dem Augenblick an, da ich die ersten Lebenszeichen von mir gab, das Gefühl, dass ich sie beeinflusse. Sie blieb auch in späteren Jahren dabei, und ich bin geneigt, ihr zu glauben, obwohl ich an meine embryonale Phase keine lückenlose Erinnerung habe. Alles liegt in einem Nebel verborgen. Das meiste, was ich über Virna Marloy weiß, hat sie mir selbst erzählt. Nicht so zusammenhängend, wie ich es wiedergegeben habe, sondern bruchstückhaft. Selbstverständlich gestand sie mir auch nicht freiwillig, dass ich nicht gerade ihr Wunschkind war. Sie war bis zuletzt überzeugt, dass die Ausstrahlung der Psychode während der Zeugung den Ausschlag für
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