Silberband 100 - BARDIOC
Gehirn besonders aktiv wurden, die ein Mensch als Zwischenhirn bezeichnet hätte. Die unbewussten und instinktiven Denkvorgänge liefen immer heftiger ab.
Auch die kosmische Strahlung, die von dem dichten Zentrum der fremden Galaxis ausging und optisch als blaues Leuchten zu erkennen war, beeinflusste jenen hochaktiven Teil von Bardiocs Gehirn. So gebaren Hass und fünfdimensionale Weltraumstrahlung eines Tages eine winzige pervertierte Gehirnzelle. Diese besondere Art von Mutation hatte niemand vorhersehen können, nicht einmal die Mächtigen. Der denkende Teil des Gehirns ahnte ebenfalls nichts von dem, was sich in seinen unteren Bereichen abspielte.
Die pervertierte Zelle teilte sich schließlich, und damit begann eine Wucherung, die in relativ kurzer Zeit für die Entstehung eines Zellknotens sorgte. Dieser Knoten hätte operativ entfernt werden müssen.
Zu solchen weitreichenden Maßnahmen war das Lebenserhaltungssystem der Kapsel jedoch nicht in der Lage. Im Gegenteil, es half durch zusätzliche Produktion von Sauerstoff und Nahrung, den Zellknoten am Leben zu erhalten.
Der Knoten im Triebsektor des Gehirns wucherte langsam weiter und entwickelte eine primitive Instinktintelligenz.
Indessen ersann Bardioc eine Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben. Er ›sprach‹ mit denen da draußen.
Die da draußen, das waren hypothetische Lebewesen, die den Planeten seiner Verbannung bevölkerten. Und die Gespräche waren einseitig, ausschließlich Monologe, aber sie konnten Bardioc ab und zu von seinem grenzenlosen Elend ablenken.
»Ihr da draußen wisst noch nichts von meiner Existenz«, dachte Bardioc. »Andererseits kann ich nicht einmal sicher sein, ob es euch gibt. Vielleicht seid ihr längst ausgestorben, vielleicht werdet ihr erst in vielen Jahrmillionen existieren. Am Ende seid ihr sogar darauf angewiesen, dass erst ein Sporenschiff kommt und danach ein Schwarm. Das wäre eine Ironie des Schicksals. Oder ihr werdet niemals da sein, weil diese Welt für ewig ein Ödplanet bleiben wird.«
So und ähnlich führte Bardioc seine Unterhaltungen. Jene da draußen wurden zu einem festen Bestandteil seiner erbärmlich gewordenen Existenz. Sie wurden zu einer fixen Idee, denn schließlich war Bardioc nicht nur überzeugt, dass es sie gab, sondern auch davon, dass sie ihn hörten und verstanden.
So richtete er seine Gedanken ernsthaft an die Außenwelt.
»Ich bin Bardioc, der Verbannte. Eines Tages werdet ihr mich finden und befreien. Ich werde einen Körper erhalten und damit Gelegenheit, mich an den anderen zu rächen.«
Manchmal bildete er sich ein, jene da draußen würden ihm antworten. Längst zweifelte er nicht mehr daran, dass seine Befreiung irgendwann erfolgen würde. Er hatte nun eine Hoffnung, an die er sich klammern konnte. Jene da draußen waren in seiner Nähe, sie würden dafür sorgen, dass er nicht bis in alle Ewigkeit in der Kapsel vegetieren musste.
Unbemerkt von Bardioc produzierte unterdessen der pervertierte Zellknoten eine organische Flüssigkeit, eine säurehaltige Verbindung, die sich als Kondensat auf der Innenseite der Kapsel niederschlug.
Jene, die diese Kapsel einst gebaut hatten, waren von ihrer Unzerstörbarkeit überzeugt gewesen, aber sie hatten niemals damit gerechnet, dass der Behälter von innen heraus beschädigt werden könnte. Die äußere Umhüllung war gegen jede noch so extreme Gewalt geschützt, nicht hingegen das Kapselinnere.
Das säurehaltige Kondensat verdunstete, bildete sich erneut und verdunstete wieder. Dieser Prozess konnte nur stattfinden, weil es das Lebenserhaltungssystem gab, das im Innern des Behälters ein winziges ökologisches Reich aufrechterhielt.
An der Innenwand der Kapsel nagte nach vielen tausend Jahren die Korrosion. Die glatte Schicht änderte ihre Konsistenz, sie wurde rau und brüchig. Schließlich bröckelte sie in dünnen Plättchen ab. So wurde die Wandung allmählich von innen heraus ausgehöhlt und zerfressen.
Bardioc wusste nichts von alldem, er spürte es nicht einmal. Womit hätte er das Geschehen auch wahrnehmen sollen?
Die Kapsel wurde mürbe. Die für unzerstörbar gehaltene Hülle verlor ihre Grundlage und war nicht mehr das, wofür man sie einst konstruiert hatte. Trotzdem hielt sie stand. Es schien, als sollte ein sich anbahnendes Wunder unterbrochen werden, bevor es sich vollenden konnte.
Die Säure zernagte schließlich die gesamte Innenwand – doch an der äußeren Schicht verpuffte ihre Wirkung. Kondensatbildung
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