Silberband 102 - Aufbruch der Basis
drängend. »Du musst mit dem Großen Flehen beginnen.«
Sie schaute ihn traurig an. »Ich habe es bereits versucht. Aber es will mir nicht gelingen, mich in Trance zu versetzen. Ich habe nicht die richtige innere Einstellung dazu.«
Plondfair schluckte. Er fühlte sich schuldbewusst, denn schließlich hatte er in endlos langen Diskussionen Koßjarta davon überzeugt, dass es besser war, den Lehren des Alles-Rads mit einer gesunden Skepsis zu begegnen.
»Du wirst trotzdem noch einen Versuch machen!«, drängte er und fühlte sich zunehmend verzweifelt. Koßjarta hatte sich aufgegeben. Sie wollte nicht um ihr Leben kämpfen. Der junge Wynger war jedoch entschlossen, sie unter allen Umständen zu retten.
»Ich werde Kschur nicht verlassen, solange es dir nicht besser geht«, kündigte er an. »Nötigenfalls werde ich bei den Kryn einen Aufschub erwirken.«
Die Kryn waren die Priester, die alle verwaltungstechnischen Arbeiten in Zusammenhang mit der Berufung ausführten. Sie kümmerten sich darum, dass alle berufenen Wynger ins Torgnisch-System gebracht und dort bis zu ihrer Reise nach Välgerspäre betreut wurden. Plondfair wusste, dass die Kryn fanatische Anhänger des Alles-Rads waren.
»Du willst die Berufung aufs Spiel setzen?«, stieß seine Nährmutter entsetzt hervor. »Plondfair, das darfst du mir nicht antun. Ich wäre todunglücklich, wenn du die Berufung meinetwegen verlieren würdest.«
»Warum reisen wir nicht zusammen?« Die Idee war ihm plötzlich in den Sinn gekommen. »Koßjarta, wenn jemand so krank ist wie du, hat er das Recht, über das Rad zu gehen.«
»Ich habe nicht einmal das Große Flehen durchgeführt. Wie könnte ich da für mich in Anspruch nehmen, über das Rad zu gehen?«
Der Lufke hörte kaum zu. Er war begeistert von seinem Einfall. Wenn es eine Rettung für Koßjarta gab, dann nur im Torgnisch-System. Der Riesenplanet Välgerspäre besaß siebenundvierzig Monde, von denen zwölf wiederum von eigenen Satelliten umkreist wurden. Diese zwölf Monde waren die Stationen einer Reise, die von den Wyngern aller Stämme als ›über das Rad gehen‹ bezeichnet wurde. Schon viele todkranke Wynger waren ins Torgnisch-System gekommen, um über das Rad zu gehen. Dabei war es zu Heilungen gekommen, die man nur als Wunder bezeichnen konnte.
»Ich werde das Kryn-Büro aufsuchen und mit den Priestern reden«, erklärte Plondfair. »Sie werden dir erlauben, über das Rad zu gehen. Wir werden zusammen reisen.«
»Hilfesuchende und Berufene fliegen immer in verschiedenen Schiffen«, erinnerte sie ihn.
»Warum sollte man in diesem Fall nicht eine Ausnahme machen?«, ereiferte sich Plondfair. »Niemand kann etwas dagegen haben, wenn ich bei dir bleibe. Unser beider Ziel ist das Torgnisch-System, und du wirst wieder gesund.«
Er sah die Skepsis in Koßjartas Gesicht. Vielleicht waren alle Anstrengungen tatsächlich vergebens, aber Plondfair wollte keine Möglichkeit zur Rettung seiner Nährmutter außer Acht lassen. Er erhob sich von ihrem Bett.
»Ich werde mich sofort darum kümmern. Je eher ich die Genehmigung erhalte, desto besser für dich. Du musst am Tag des Blumenwindes reisefertig sein.«
»Sie werden dich fragen, ob ich das Große Flehen intensiv genug betrieben habe.«
Einen Augenblick wurde Plondfair in seiner Entschlossenheit schwankend, denn er wusste, dass Koßjartas Einwand berechtigt war. Die Kryn würden keinen Wynger unterstützen, von dem sie nicht sicher sein konnten, dass es sich um einen überzeugten Anhänger des Alles-Rads handelte.
»Du hast es getan – auf deine Art!« Er strich seiner Nährmutter über den Kopf und eilte hinaus.
8.
Im Kryn-Büro von Banschura herrschte kein so großer Andrang, wie Plondfair befürchtet hatte. Er wurde von einem zur Fettleibigkeit neigenden Priester empfangen und in eine der Sprechkabinen geführt. Plondfair war zum ersten Mal in diesem Büro. Er wunderte sich über die fast nüchterne Einrichtung, denn insgeheim hatte er die Kryn stets der Verschwendungssucht bezichtigt. Es gab sechs Sprechkabinen. Sie sollten garantieren, dass kein Wort nach außen drang.
Plondfair wies sich aus. Der Kryn gab die persönlichen Daten des Besuchers in einen Datenspeicher. Sein feistes Gesicht erhellte sich zu einem Lächeln, als er erkannte, dass Plondfair die Berufung erhalten hatte. »Die Neugier hat Sie hergetrieben«, vermutete er.
»Es geht nicht um mich, sondern um meine Nährmutter«, sagte Plondfair. »Sie heißt Koßjarta und ist eines
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