Silberband 103 - Facetten der Ewigkeit
zu sich heran und sagte wohlwollend: »Schone dich. Halte dich in Form. Versuche, noch schneller zu werden. Dann hast du die Ehre, am Tag der Versiegelung der Kammer die zweitwichtigste Person nach dem Pharao zu sein. Du warst sehr überzeugend!«
Der Freiwillige verbeugte sich mehrmals und sehr tief. »Ich werde mein Bestes versuchen, Herr.«
»Anderenfalls ruht an diesem Tag die Last der Pyramide auf deinen Schultern«, gab der Baumeister zurück. »Wir danken dir und bewundern deinen Mut.«
Der Mann nahm sein Werkzeug und ging.
Eines war für Menketre sicher: Die Götter hatten jeden von ihnen mit seltsamen und oft Angst einflößenden Gaben gesegnet.
Das Innere des Hathortempels war dunkel. Es roch nach verbrannten Harzen; aus den Glutpfannen ringelten sich blassgraue Wolken zu den Ansätzen der schlanken Säulen hinauf. Nur eine Person befand sich vor dem Standbild der Göttin aus schwarzem, poliertem Stein.
Der Mann im traditionellen Hüfttuch, mit dem schweren, mondsichelförmigen Brustschmuck und den Zeremonienstab in den Händen, bewegte sich kaum. »Sprich mit mir, deinem getreuen Diener!«, flüsterte Chnemu Chufu. »Erkläre mir, Hathor, warum Segen und Reichtum so plötzlich über das Obere und Untere Ägypten gekommen sind!«
Die Göttin schwieg, ihre Augen aus Edelsteinen schienen den Gottkönig anzusehen.
»Sage mir, weshalb du und die anderen Götter mit der Sonnenbarke den Fund geschickt habt. Er gibt uns kühne Gedanken, er lässt uns die Ordnung der nächtlichen Sterne verstehen, er schenkt den Menschen Wissen und Lebenskraft.«
Der Pharao, ein pragmatischer Mann, fürchtete sich vor der Zukunft. Nicht vor seiner eigenen - er war wie alle Vorgänger dazu bestimmt, mit der Sonnenbarke nach dem Ende seines Lebens zu segeln. In die Stillen Bezirke des Westens wurden er und seine Diener gefahren, zu den heiligen Stätten der Verstorbenen. Dort wurde er nach einer Zeit, die abhängig von seinem gottgefälligen Leben war, wiederbelebt und kehrte im Triumph zurück, alle Hinfälligkeiten des diesseitigen Lebens weit hinter sich lassend. Jetzt hatte er Angst vor der Zeit, in der das Geschenk seinen Segen nicht mehr ausstreuen würde.
»Warum sprichst du nicht, Hathor? Sieh, wir bauen eine riesige Pyramide, um das Geschenk der Götter für alle Zeiten in unserem Land und zwischen unseren Menschen zu halten. Wir werden die beiden Würfel, die kein Zauber öffnen kann, tief im Innern der Pyramide verbergen. Die Menschen vertrauen mir, weil ich sie zum Fundort geführt habe. Sie bauen mein Totenmal mit einem Eifer, der mich erschreckt und glücklich macht.«
Der Pharao schwieg und wartete. Der innerste und heiligste Raum durfte nur von ihm und wenigen ausgesuchten Priestern betreten werden. Hier war er, wenn überhaupt an einem Platz auf der Welt, den Göttern am nächsten.
Er formulierte seine Worte vorsichtig. Obwohl Hathor tief und gründlich in sein Herz sah, vermied er es, die falschen Ausdrücke zu gebrauchen.
»Fast das ganze Volk ist von dem Göttergeschenk begeistert. Nur einige Priester sind es nicht. Sie fürchten ein Werk der Bösen Mächte und wollen es außer Landes schaffen. Von Tag zu Tag raten sie mir eindringlicher, die beiden schimmernden Würfel nicht in meine letzte irdische Ruhestätte einzumauern. Sie werden eines Tages sogar versuchen, es mir zu verbieten. Und dies ist die wichtigste Frage, Göttin Hathor, die ich an dich richte: Was soll ich tun?«
Chnemu Chufu wartete. Nach einer endlos lang erscheinenden Weile drängte sich ihm ein Gedanke auf. Die Götter sprachen nicht in den Worten der sterblichen Menschen. Hathor würde ihm nachts im Traum erscheinen wie schon einige Male. Ihr Traum würde die Antworten auf seine Fragen enthalten.
Er verneigte sich und roch den betörenden Duft des Harzes. »Ich habe dein Zeichen verstanden, Göttin. Ich werde warten. Dein Traum wird die Erklärung bringen.«
Dann drehte er sich um, auf vergoldeten Sandalen schreitend, würdevoll und krank vor Sorge, was geschehen würde. Als er aus der dunklen Kühle der Tempelkammer hinaustrat in das grelle Licht über dem Land, wusste er, dass seine Fragen beantwortet, seine Bitten erhört werden würden. Hathor war seine klügste und mächtigste Freundin.
Er hob die Hand und winkte Hesirâ zu sich heran.
»Herr?«, fragte der Oberste Schreiber. »Was sagte die Göttin?«
»Sie flüsterte so leise, dass ich nichts verstand. Aber sie gab mir Zeichen. Du sollst Steinmetze nehmen und dort, wo
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