Silberband 106 - Laire
könnte ihnen zumindest die Grundbegriffe des entelechischen Denkens beibringen. Wie stellst du dich zu diesem Vorschlag, Türmer?«
»So wünschenswert eine Annäherung der Standpunkte ist, ich sehe gewisse Gefahren bei einem solchen Vorgehen«, erwiderte Hergo-Zovran. »Bisher waren wir sorgsam darauf bedacht, unsere Fähigkeit des Zweidenkens Fremden gegenüber zu verbergen. Das war unser bester Schutz. Nun bin ich bei der ersten Kontaktaufnahme schon so weit gegangen, die Terraner auf unsere entelechische Denkweise aufmerksam zu machen, was ich als großes, gewagtes Entgegenkommen erachte. Aber wenn wir ihnen unsere Philosophie rückhaltlos offenbaren, geben wir uns damit eine gefährliche Blöße.«
»Dein Ansinnen ist ungeheuerlich, Lank!«, rief Mank-Beram aus, der die Bedenken des Türmers sofort für sich zu nutzen wusste. »Damit geben wir den Terranern die Möglichkeit, uns mit den eigenen Waffen zu schlagen. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir Loower eine angeborene Hemmung haben, Probleme aus unserem Tiefenbewusstsein Fremden zu erörtern. Und es hat seine Richtigkeit, dass man erst die Reife eines Türmers erreichen muss, um diese Hemmung zu überwinden. Der Vorschlag klingt für mich wie ein Verrat an unserem Volk.«
»Ich denke gar nicht daran, dem ganzen Volk der Terraner unsere Philosophie zu offenbaren, obwohl nicht einmal eine solche Generalaufklärung uns schaden könnte«, erwiderte Lank-Grohan. »Ich beabsichtige vielmehr, eine kleine Gruppe von Terranern in die Neunturmanlage zu holen und sie mit den wichtigsten Elementen der Entelechie vertraut zu machen. Es kommt meinem Plan entgegen, dass die Menschen in kleineren Verbänden zusammenleben. Das Verschwinden einer einzelnen Familie würde bestimmt nicht mit uns in Zusammenhang gebracht werden und unter der terranischen Bevölkerung kein Aufsehen erregen. Eine solche Familie wäre für den Versuch schon deshalb besonders geeignet, da ihr Vertreter verschiedener Altersgruppen angehören, die auf die Tests unterschiedlich reagieren werden. Schließlich wird sich eine Familie besser akklimatisieren können als eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Terranern.«
»Du versuchst, uns mit solchen Belanglosigkeiten von der eigentlichen Problematik abzulenken, Lank!«, rief Mank-Beram dazwischen. »Aber du kannst die Tatsache nicht verwischen, dass du den Angehörigen eines Fremdvolks unser sorgsam gehütetes Geheimnis preisgeben willst. Was erwartest du als Gegenleistung?«
»Ich erwarte eine bessere Verständigung und Verständnis für unser Problem«, antwortete der Psychologe. »Auf lange Sicht ist das der einzige zielführende Weg. Nur wenn wir diese Kluft überbrücken und den Terranern begreiflich machen, was das Auge wirklich für uns bedeutet, können wir erwarten, dass sie sich für die Rückgabe des Auges einsetzen.«
»Die Terraner sind Egoisten«, sagte Mank-Beram abwehrend. »Das habt ihr Forscher selbst erkannt. Ichbezogene Wesen werden sich nur dann für eine Sache einsetzen, wenn es um ihre eigenen Interessen geht. Deshalb bleibe ich dabei, dass wir auf eine Rückerstattung des Auges erst dann hoffen können, wenn die Terraner ihre Sicherheit bedroht sehen.«
»Ich denke, dass es Angelegenheit des Türmers ist, eine Entscheidung zu treffen«, sagte Hergo-Zovran. Damit war die Diskussion beendet, und alle Anwesenden warteten gespannt auf sein Urteil.
Der Türmer ließ sich nicht lange damit Zeit. Er war froh, dass Lank-Grohan ihm eine Alternative anbot und er nicht gezwungen war, seine Drohung einschneidender Maßnahmen gegen die Menschheit wahr zu machen.
»Lank-Grohan erhält die Möglichkeit, seine Idee zu verwirklichen«, beschloss der Türmer. »Ich hoffe im Interesse unseres Volkes, dass die Terraner unser Vertrauen verdienen.«
Die Versammlung löste sich auf. Nur Fanzan-Pran und Lank-Grohan blieben in der Türmerstube zurück.
»Gibt es etwas zu besprechen, was ihr den anderen verheimlichen wollt?«, fragte Hergo-Zovran mit leichtem Unmut. Geheimniskrämerei empfand der kollektiv denkende Türmer als Vertrauensbruch gegenüber den anderen Gesprächsteilnehmern, sie war ihm deshalb ein Gräuel.
»Lank und ich haben eine zweite Möglichkeit erörtert, wie Terraner und Loower einander näherkommen könnten«, antwortete Fanzan-Pran. »Doch ist die Idee nicht ausgegoren genug, dass wir sie zur Diskussion stellen könnten. Wir wollten vorher deine Meinung einholen, Türmer.«
»Dann lass hören.«
»Wenn wir
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