Silberband 106 - Laire
Ein verwirrter Loower wäre beinahe von aufgebrachten Neukolonisten gelyncht worden. Nur mehrere besonnene Männer hatten das im letzten Moment verhindert, den Loower in Schutzhaft genommen und tags darauf der Exekutive der LFT übergeben.
Da der Fremde Interkosmo nicht beherrschte und kein auf seine Sprache programmierter Translator zur Verfügung stand, konnte bislang nichts Näheres in Erfahrung gebracht werden. Klar war nur, dass der Loower Goran-Vran hieß. In ihrer Ratlosigkeit hatten sich die Marsbehörden an Imperium-Alpha gewandt.
»Diese Narren!«, schimpfte Tifflor. »Wenn das herauskommt, könnten die Loower falsche Schlüsse ziehen und das Geschehen als Gefangennahme eines ihrer Leute auslegen. Die Folgen wären unabsehbar. Ich werde den zuständigen Stellen einen Verweis erteilen und die sofortige Freilassung des Loowers anordnen.«
»Ist das wirklich nötig?«, fragte Adams. »Mit dem Loower würdest du zweifellos einen Trumpf aus der Hand geben, Tiff.«
»Und wenn die Loower erfahren, dass wir einen ihrer Leute festhalten?«, gab der Erste Terraner zu bedenken. »Sie werden sein Verschwinden längst bemerkt haben und nach ihm suchen.«
»Aber sie brauchen nicht zu erfahren, wohin er verschwunden ist«, wandte Tekener ein. »Der Loower ist unsere Chance, dieses Volk näher kennenzulernen.«
»Sie müssen es riskieren«, pflichtete Jennifer Thyron bei. »Die Gelegenheit, die Mentalität der Loower am lebenden Objekt studieren zu können, kommt bestimmt nicht so schnell wieder.«
Tifflor nickte zögernd. »Also gut. Ich veranlasse, dass der Loower zur Erde gebracht wird. Hoffentlich weiß Professor Thaty etwas mit ihm anzufangen.«
»Die Sache ist den Versuch jedenfalls wert«, sagte Jennifer Thyron. Sie hing ihren Überlegungen nach, während die Männer den Fall unter anderen Gesichtspunkten diskutierten. Als eine kurze Pause entstand, bemerkte sie wie zu sich selbst: »Die Loower müssten nicht minder daran interessiert sein, uns kennenzulernen. Ich frage mich, warum sie nicht schon auf den Gedanken gekommen sind, Menschen für Versuche zu holen und sie zu studieren. Das wäre eigentlich naheliegend.«
»Wer sagt, dass die Loower das noch nicht getan haben?«, fragte Tekener scherzhaft. »Vielleicht ist gerade in diesen Minuten irgendein armer Schlucker einem loowerischen Pendant von Professor Thaty ausgeliefert, das ihn mit seinen entelechischen Methoden bis aufs Blut quält.«
Ronald Tekener konnte bei diesen nur so dahingesagten Worten nicht wissen, dass sein Scherz für eine terranische Familie schon bitterer Ernst geworden war.
Baya Gheröl: 6.11. bis 10.11.3586
Es war ein Abend wie jeder andere auf Terra. Ich meine damit, dass jeder Tag wie der vorangegangene endete, seit wir aus der Provcon-Faust zur Erde gezogen waren, und dieser Tagesabschluss unterschied sich nicht von den anderen.
Vater brachte wieder einmal schlechte Laune heim. Ich hörte das schon an seinem Schritt, als er zur Tür hereinkam. Kein Gruß, kein Wort, nur die Geräusche, die entstanden, als er in der Diele ablegte.
»Bist du es, Haman?«, hörte ich Mutter aus der Küche fragen.
»Wer denn sonst.«
»Was war?«
»Wieder nichts«, antwortete Vater.
Seit wir auf die Erde gekommen waren und in diesem Appartement wohnten, bemühte er sich vergeblich um Arbeit. Wir lebten vom Staat. Alles, was wir zum Leben benötigten, wurde uns zur Verfügung gestellt. Wir brauchten nichts dafür zu bezahlen, wir hätten ohnehin kein Geld gehabt. Aber geschenkt wurde uns trotzdem nichts. Die Spesen wurden auf Vaters Konto verbucht, und solange er nichts verdiente, um sie zurückzahlen zu können, sanken wir immer tiefer in die roten Zahlen.
Ich saß in meinem Zimmer am Spieltisch, die Tür stand offen. Ich verhielt mich still und sagte mir in Gedanken alles vor, was Vater und Mutter sagen würden.
Ich dachte: Jetzt wird Mutter Vater schelten. Und ich hatte recht. »Du wirst nie Arbeit finden«, hörte ich sie sagen. »Ich erkläre dir auch, warum. Weil du ein Faulpelz bist.«
»Was kann ich dafür, dass man auf Terra keinen Mann mit meinen Fähigkeiten braucht«, verteidigte sich Vater.
In der Provcon-Faust war er ›L-Kontakter‹ gewesen. Das ›L‹ stand für Lotsen, und damit waren die Vakulotsen gemeint, die jeder anheuern musste, um mit dem Raumschiff den Staubmantel unbeschadet durchdringen zu können, der die Welten der Provcon-Faust umgab. Auf Terra gab es natürlich keine Vakulotsen. Das war für Vater sehr
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