Silberband 106 - Laire
aufwühlten, statt mich einzulullen. Und nach einer Weile schreckte mich ein Geräusch vor meiner Tür hoch. Ich schwang mich aus dem Bett und lief hin. Als ich die Tür öffnete, stand Kerinnja draußen. Ich hatte sie offenbar beim Lauschen ertappt. Sie gab mir mit auf die Lippen gelegtem Zeigefinger zu verstehen, dass ich mich ruhig verhalten sollte. Dann flüsterte sie mir zu: »Die machen wieder hohe Politik. Sie besprechen die Invasion der Loower.«
Ich nickte. Natürlich wusste ich, was Kerinnja meinte. Jedes Kind wusste über die fremden Invasoren Bescheid. Bei meinem Ausflug in die Stadt hatte ich überall Menschengruppen getroffen, die dieses Thema diskutierten. Da ich aufmerksam war, hatte ich genug aufgeschnappt, um mir ein Bild machen zu können. Vieles verstand ich natürlich nicht, aber mir war klar, dass die Loower im Solsystem nichts zu suchen hatten und nur Unruhe stifteten.
»Wenn die Regierung keine Maßnahmen ergreift, müsste das Volk etwas unternehmen«, hörte ich Vater gerade sagen. Kerinnja nickte zustimmend. »Ich habe mich umgehört. Alle sind der gleichen Meinung. Wozu haben wir unsere Flotte? Wozu gibt es die GAVÖK? Man sollte es diesen Loowern zeigen und nicht warten, bis sie ihre Macht gefestigt haben. Sonst schlittern wir in eine Neuauflage der Larenkrise.«
»Wir hätten in der Provcon-Faust bleiben sollen«, sagte Mutter.
»Wer wollte denn fort?«, erwiderte Vater. »Dich hat es ja zur Heimatwelt deiner Vorfahren gezogen. Du wolltest unbedingt zur Wiege der Menschheit zurück. Wenn ich das schon höre. Die Erde wird noch das Grab der Menschheit, und die Loower sind unsere Totengräber.«
»Hör auf damit, Haman. Jetzt kannst du leicht klug reden. Aber warum hast du mich damals nicht zu überzeugen versucht, dass wir auf Gäa sicherer wären? Du spielst doch sonst immer den Patriarchen. Du sorgst für die Familie, übernimmst die Erziehung der Kinder und setzt bei allem meine Zustimmung voraus. Einmal hast du mir nachgegeben, und jetzt hältst du es mir vor.«
»Ich mache dir keine Vorhaltungen. Im Gegenteil, du gibst mir die Schuld an deinem Fehler.«
»So kann man es natürlich zurechtdrehen.«
»Wie auch immer: Wenn die Loower schon die LFT einlullen konnten, mit uns, dem Volk, werden sie kein so leichtes Spiel haben. Wir werden uns erheben wie ein Mann. Sollen sie es nur wagen, ihre Invasionstruppen auf Terra abzusetzen! Ich jedenfalls habe vorgesorgt.«
»Was redest du da, Haman?«
»Das sind keine leeren Worte. Sieh her.«
»Was ist das?« Ich hörte Mutter rascher atmen. »Eine Waffe? Was willst du damit?«
»Meine Familie verteidigen. Und andere werden das auch tun. Wir werden bis zum letzten Mann kämpfen.«
»Ist es so ernst?«
»Man weiß nie …«
An den folgenden Geräuschen war zu erkennen, dass Vater sich von seinem Platz erhob. Als sich seine Schritte der Flurtür näherten, drängte mich Kerinnja in mein Zimmer, folgte selbst und schloss die Tür hinter uns.
»Haman will sicher nicht, dass wir etwas über diese Dinge wissen«, begründete meine Schwester ihre Handlungsweise. Sie lauschte an der Tür, und als es im Flur still wurde, atmete sie auf.
»Haman weiß, was er sagt«, flüsterte sie dann.
»Werden die Loower kommen?«, fragte ich.
Kerinnja nickte ernst. »Arme Baya«, sagte sie. Ich merkte, dass sie zitterte. »Wäre ich erst sieben Jahre, würde ich mich ebenso wie du fürchten. Aber habe keine Angst. Ich werde diese Nacht bei dir bleiben. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte ich, obwohl ich ihr genauso gut hätte klarmachen können, dass ich mich gar nicht fürchtete.
Sie schlüpfte zu mir ins Bett und drängte mich an die Wand.
»Ist es so recht, Baya? Du hast ganz kalte Füße, ich werde sie dir wärmen. Schlaf nur, es kann dir nichts geschehen. Hab keine Angst, kleine Baya …«
Kerinnja drückte sich fester gegen mich und suchte unter der Decke meine Hand. Sie unterhielt sich noch eine Weile mit mir, aber ihre Stimme wurde immer leiser, bis sie sich in Schlaf geredet hatte und schließlich ganz verstummte. Jetzt erst fand ich meine Ruhe und konnte ebenfalls einschlafen. Ich tat es in dem Bewusstsein, meiner doppelt so alten Schwester das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben.
Aber dieses Gefühl wurde bald von einem seltsamen und aufregenden Traum verdrängt. Er handelte von Unbekannten, die eigentlich nur Loower sein konnten.
18.
In meinem Zimmer breitete sich Licht aus, als würde jemand vorsichtig und
Weitere Kostenlose Bücher