Silberband 106 - Laire
seine eigene Tochter in den Rücken fiel. Seit sie für einige Stunden aus ihrem Wohntrakt verschwunden und von den Loowern behandelt worden war, schien sie wie ausgewechselt.
Kerinnja war nun ruhiger und gefasster, und sie hatte ihre Meinung über die Loower geändert. Sie glaubte ihnen mehr als ihrem Vater, und sie hatten sie davon überzeugt, dass keine Invasion der Erde stattgefunden hatte. Haman war enttäuscht von ihr.
»Es gilt immer noch das Wort deines Vaters – ohne Fragen«, wiederholte Aldina. »Keine Diskussion darüber.«
»Aber was für einen Sinn hat das?«, fragte Kerinnja. »Wem nützt es, wenn wir verhungern? Die Loower haben mir plausibel erklärt, dass sie nichts weiter wollen, als uns Verständnis für ihre Lage beizubringen. Wir werden nicht gleich zu Verrätern an der Menschheit, wenn wir versuchen, sie zu verstehen.«
»Alles Lug und Trug«, widersprach Aldina. »Du weißt es nicht besser, mein Kind, und ich will dir keinen Vorwurf machen. Es ist leicht für die Loower, deinen unreifen Geist zu beeinflussen. Sie sind intelligent und gerissen und keine Barbaren. Dennoch sind sie verfluchte Mörder. Die Loower sind unsere Feinde, Kerinnja.«
»Du redest Unsinn, Aldina.«
»Tochter!« Haman fuhr herum und bedachte das Mädchen mit einem strafenden Blick. Sofort senkte Kerinnja verschüchtert den Kopf und wich seinem Blick aus. Unter dem Tisch spürte sie Bayas Hände, die die ihren suchten und sie drückten, aber sie stieß ihre Schwester fort.
»Nach wie vor bin ich für euch verantwortlich«, sagte Haman. »Nach terranischem Recht habe ich das Fürsorgerecht über euch, und das gilt überall, egal wo wir sind, selbst wenn wir uns in loowerischem Hoheitsgebiet befänden. Es geschieht, was ich sage!«
»Wir könnten wenigstens vernünftig darüber diskutieren«, wagte Kerinnja einen letzten Einwand.
»Was weißt du schon, was vernünftig ist«, sagte Haman bitter. Er sprach es nicht aus, aber er dachte: Die Loower haben sie präpariert, sie in ihrem Sinn konditioniert. Er wollte die Hand nach seiner Lieblingstochter ausstrecken, überlegte es sich dann aber anders. Die Loower hatten sie ihm entfremdet, er konnte ihr nicht mehr begreiflich machen, dass er nur das Beste für sie wollte.
Aldina erhob sich und wollte den Raum verlassen.
»Wohin?«, fragte Haman streng.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte seine Frau abwesend. »Mir ist eben etwas eingefallen.«
Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, war sie auf dem Korridor verschwunden.
»Warte, Aldina!«, rief Haman ihr nach. »Ich begleite dich. Wir sollten stets zusammenbleiben, damit die Loower keine Gelegenheit erhalten, uns zu trennen.«
Seit Kerinnjas Abwesenheit war er vorsichtig geworden. Die Loower hatten sie nicht offiziell abgeholt, sondern förmlich fortgelockt. Als er in die Diele kam, sah er Aldina gerade noch durch die Tür verschwinden, und als er die Tür erreichte, fiel sie ihm vor der Nase zu.
Es war zum Verzweifeln. Nun würden die Loower sich das nächste Mitglied seiner Familie vornehmen und in ihrem Sinn beeinflussen. Haman befürchtete, dass sich Aldina nach ihrer Rückkehr ebenfalls von ihm abwenden würde.
Er kehrte zu seinen Töchtern zurück. Kerinnja kaute mit vollen Backen, Baya verkroch sich unter dem Tisch.
»Iss nur«, sagte er zu Kerinnja. »Schlag dir ruhig den Bauch voll. Es ändert nichts mehr.«
Ihre Schwäche war verzeihbar. Aber was immer geschah, er selbst wollte hart bleiben. Er hätte sich sonst vor sich selbst schämen müssen.
Wie er die Loower hasste! Sie hatten sich nicht damit begnügt, alle vier gefangen zu nehmen, nun trieben sie einen Keil in seine Familie. Aber irgendwann würde sich das rächen. Haman wollte nicht glauben, dass die terranische Flotte völlig vernichtet war. Vielleicht formierten sich die Verbände gerade in diesen Minuten zu einem Vergeltungsschlag. Außerdem gab es noch die GAVÖK.
Er würde ausharren, bis die Retter kamen. Selbst wenn sie ausblieben, würde er standhaft bleiben. Die Loower konnten ihn töten, ihn durch Gehirnwäsche zu einer Marionette machen, aber bezwingen konnten sie ihn nicht.
»Schläfst du, Haman?«
»Ich habe dich kommen hören.«
»Du hast keinen Grund, dich zu versteifen und so ablehnend zu sein. Ich bin immer noch ich selbst – Aldina. Die Loower haben mir lediglich über gewisse Dinge die Augen geöffnet.«
»Das habe ich befürchtet.«
»Du fürchtest dich überhaupt zu viel, und du bist zu misstrauisch, Haman. Ich
Weitere Kostenlose Bücher