Silberband 107 - Murcons Vermächtnis
spürte, dass er nervös wurde. Wann kam Boyt endlich? Weshalb ließ er so lange auf sich warten?
Goran-Vrans Rede prallte an ihm ab. Er verstand kaum ein Wort, erfasste nicht einmal den Sinn. Er blickte sich scheu um. Seine Nebenmänner starrten gebannt zum Rednerpult.
Ich muss mich konzentrieren, sagte er sich. Wenn die Reihe an ihn kam, würde er das Gehörte in seiner Ansprache verarbeiten und, davon ausgehend, Ausblicke auf die Zukunft geben müssen. Wie war es damit, von den anfänglichen Missverständnissen auf die gute Atmosphäre in der Gegenwart und die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit in der Zukunft überzuleiten? Aber nein, zweifellos würden schon seine Vorredner dieses Thema tottreten. Er musste sich etwas Originelleres einfallen lassen.
Goran-Vran trat vom Rednerpult ab. Applaus. Van Renekkon klatschte automatisch mit. Homer G. Adams löste ihn ab. Die Konferenz wurde für die Nachwelt aufgezeichnet. Eine Livesendung war nicht möglich, da es sich um eine Geheimkonferenz handelte.
Adams redete endlos lange – oder erschien das nur ihm so? Was für ein Thema? Van Renekkon entsann sich der Möglichkeit, positronische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Warum sich den Kopf über etwas zerbrechen, was ein Rechner perfekt leisten konnte?
Er berührte seinen Wunsch in den Lichtfeldern an seinem Pult. Sekunden danach leuchtete die Antwort auf. Themenvorschlag: Boyt Margors Einfluss auf die terranische Politik in Loowerfragen. Unterbreitung von Vorschlägen für Maßnahmen gegen diesen kosmischen Verbrecher. Van Renekkon kicherte in sich hinein. Es klang wie Hohn. Er, einer der engsten Vertrauten Margors, sollte Pläne zu dessen Vernichtung vorlegen.
Der Terranische Rat wollte einen anderen Themenvorschlag anfordern, als er merkte, dass Ungewöhnliches um ihn vorging.
Adams brach mitten im Satz ab. Für Sekunden herrschte gespenstische Stille. In die angespannte Atmosphäre platzte eine Van Renekkon wohlvertraute Stimme.
»Keine Panik, Herrschaften. Verhalten Sie sich ruhig, dann geschieht Ihnen nichts. Meine Paratender haben Befehl, nur auf Personen zu schießen, die Widerstand leisten. Es würde mir leidtun, käme jemand von Ihnen durch eine Unbesonnenheit zu Schaden.«
Van Renekkon sah sich um. Entlang der Wände standen an die vierzig mit schweren Kombistrahlern bewaffnete Männer und Frauen in schmucklosen Kombinationen. Mitten unter ihnen war Boyt! Er hielt nur einen leichten Strahler in der Linken, in der anderen Hand das Augenobjekt.
Margor wirkte selbstsicher und souverän wie immer. Van Renekkon wäre am liebsten zu ihm gerannt, um ihm wie einem Retter in die Arme zu fallen. Durch Boyts Auftauchen fühlte er sich von einer schweren Last befreit.
»Julian Tifflor, sagen Sie Ihren Leuten und den Loowern, dass jeder Widerstand zwecklos ist!«, verlangte Margor mit seiner weichen, nichtsdestotrotz zwingenden Stimme. »Verhalten Sie sich in meinem Sinn, dann gibt es kein unnötiges Blutvergießen.«
Keiner rührte sich. Die Versammelten waren wie erstarrt. Van Renekkon fand das ungewöhnlich. Er sagte sich, dass der eine oder andere beim Anblick des Terrafeindes Nummer eins eigentlich die Fassung hätte verlieren müssen. Aber weder die Loower noch die versammelten Terraner zeigten eine Reaktion. Sie standen da wie leblose Statuen.
In dem Moment erkannte Van Renekkon, was das bedeutete.
»Boyt!«, schrie er. »Das ist eine Falle! Alle sind Doppelgänger!«
Endlich kam Leben in die Versammelten. Wie auf Kommando setzten sie sich in Bewegung und stürmten in Richtung der Wände, wo die Paratender warteten. Aus ihren drohend erhobenen Armen brachen unter aufplatzendem Biomolplast Waffenmündungen hervor. Sofort eröffneten sie das Feuer. Aber sie setzten nur Paralysatoren ein.
Einige Paratender gerieten unter dem konzentrierten Beschuss mit Lähmstrahlen in konvulsivische Zuckungen. Die anderen erwiderten das Feuer mit ihren tödlich wirkenden Waffen.
Ein energetisches Inferno tobte durch den Konferenzsaal. Van Renekkon warf sich hinter einem Pult in Deckung. Aus seinem Versteck sah er, wie das Biomolplast der Roboter unter den Thermoschüssen der Paratender verkohlte. Unter den kokelnden Fleischresten kamen gesichtslose Metallmasken zum Vorschein.
Ein halbes Dutzend Loower tauchten auf. Sie streiften die Stummel ihrer Flughäute ab, ließen ihre Doppelkörper wie aufgeplatzte Kokons hinter sich, aus denen Kampfmaschinen geschlüpft waren. Kampfroboter, die nach dem obersten
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