Silberband 107 - Murcons Vermächtnis
ein. Diesmal verzichtete der Quellmeister auf den Versuch, Murcon zu sprechen. Er hatte erkannt, dass der Mächtige ihn nicht hören konnte.
»Ich öffne euch die Pforte«, sagte Murcon. »Tretet ein in den innersten Bereich meiner Burg. Vor den Geistern der Vergangenheit seid ihr sicher, aber Gefahren lauern auch hier – andere Gefahren, denen ihr euch gewachsen zeigen müsst, wenn ihr Murcons Geheimnis entschleiern wollt!«
Die Stimme schwieg, und Pankha-Skrin erkannte am Verhalten des Skri-marton, dass der Kontakt mit dem Mächtigen abgebrochen war. Er erhob sich.
Der Humpelnde Tantha blickte auf die rückwärtige Wand, in der sich eine Öffnung aufgetan hatte. Sie gab einen breiten, hell erleuchteten Gang frei, dessen Wände golden strahlten.
»Murcon lebt also noch«, murmelte Tantha.
»Du hast seine Stimme ebenfalls gehört?«, fragte Pankha-Skrin.
»So deutlich, als hätte er unmittelbar vor mir gestanden.«
Die dritte Prüfung war anders ausgefallen, als der Quellmeister es sich vorgestellt hatte. Nicht Intelligenz und Findigkeit waren auf die Probe gestellt worden, sondern seine Qualität als höher entwickeltes Wesen, die allein in der Anwesenheit des Skri-marton ihren Ausdruck fand. Das Quellhäuschen und der Mechanismus, den Murcon installiert hatte, um alle Eindringlinge einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, waren miteinander in Wechselwirkung getreten und hatten den Mächtigen wissen lassen, dass ein Höherentwickelter in seine Burg vorgestoßen war. Daraufhin hatte die telepathische Stimme begonnen. Was sie zu sagen hatte, war auch dem Humpelnden Tantha offenbar geworden – weil er sich in der Begleitung des Quellmeisters befand.
»Wollen wir nicht eintreten?«, fragte Tantha ungeduldig und deutete auf die hell erleuchtete Öffnung.
»Das werden wir tun«, antwortete Pankha-Skrin, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren.
»Du hast Bedenken?«
»Mehrere. Murcon konnte mich nicht hören. Auch gebrauchte er eine seltsame Redewendung: ›Daran, dass meine Stimme erklingt, nehme ich wahr, dass endlich einer in diese Gefilde vorgedrungen ist, zu dem zu sprechen sich lohnt.‹ Es war nicht Murcon selbst, der zu uns sprach, sondern eine Aufzeichnung. Wir haben noch immer keine Gewissheit, dass der Mächtige noch lebt. Seine Gerätschaften mögen Jahrzehntausende überdauert haben. Aber es ist offenbar, dass die Kukelstuuhr-Priester hier ein und aus gehen. Warum hat Murcon sie nicht erwähnt? Weiß er überhaupt von ihrer Existenz? Und wer ist die sogenannte Große Gottheit, der die Blasshäutigen dienen? Warum sprach Murcon nicht über sie?«
Der Humpelnde Tantha schien viel zu sehr von dem golden schimmernden Gang beeindruckt, als dass er sich von dem Quellmeister hätte Bedenken einreden lassen.
»Wenn du die Antwort auf deine Fragen erfahren willst, dann brauchst du nur durch diese Pforte zu gehen«, bemerkte er erregt. »Murcon hatte dir die Entschleierung aller Geheimnisse in Aussicht gestellt. Es war nicht davon die Rede, dass er dazu noch am Leben sein müsse. Warum beunruhigt es dich, dass er in der Zwischenzeit den Tod gefunden haben könnte?«
»Weil ich inzwischen überzeugt bin, dass ich nur von Murcon den Schlüssel erhalten kann.«
»Den Schlüssel zum Geheimnis der Burg?«
»Den Schlüssel zur Materiequelle«, antwortete der Quellmeister. Dann schritt er auf die offene Pforte zu.
Weit im Hintergrund hatte sich der Tolle Vollei inzwischen von seinem Schock erholt. In seiner Panik war er mit Hajlik bis zu dem Schacht geflohen, durch den sie aus dem Großen Gasthaus in die Tiefe gekommen waren.
Es dauerte geraume Zeit, bis Hajlik wenigstens verstehen konnte, was Vollei sagte.
»Vergiss nicht, es war deine Idee, den Gastwirt zu verfolgen!«, schrie er sie an.
Zeternd gelang es Vollei schließlich, Hajlik nicht etwa zu überreden, sondern derart einzuschüchtern, dass sie ihm folgen würde. Er nahm sie bei der Hand und schritt mit ihr den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Die Idee war ursprünglich nicht seine gewesen. Aber nun war Vollei fest entschlossen, den Gastwirt zu fangen und alle Geheimnisse zu enträtseln, die es hier unten gab.
11.
In gemächlicher Fahrt strich die Lichtzelle durch den sternenleeren Raum.
Ganerc lenkte das Schiff. Einst war er ein Mächtiger gewesen, jetzt war er in die Gestalt des Zwerges Callibso verbannt. Der Friede, der den leeren Raum erfüllte, drang nicht bis in seine Seele. Dort herrschten Ungewissheit und fiebernde
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