Silberband 111 - Geburt einer Dunkelwolke
was für eine fantastische Möglichkeit. Die Psychode als Speicher des Wissens und aller Errungenschaften eines Volkes. Bleibt nur die Frage, wieso die Zwotter diese Botschaften nicht mehr empfangen können.«
»Du darfst nicht verallgemeinern, Tek«, mahnte Jennifer. »Die Zwotter des weiblichen Stadiums können den Sinn der Psychode sehr wohl begreifen.«
»Ein Morphling, verscheuche, verschwinde und ab mit dir!«, schrie die in Umwandlung befindliche Zwotterfrau und gestikulierte in Richtung des Eingangs.
Jennifer Thyron und Ronald Tekener sahen sich unerwartet mit einem zweiten Zwotter konfrontiert. Er war nackt. Sie konnten sofort erkennen, dass es sich um einen männlichen Zwotter handelte.
Er verharrte erst wenige Schritte vor den beiden Terranern.
»Wer bist du?«, fragte Jennifer zögernd.
»Ich bin Tezohr.«
Tekener stöhnte. Ein Morphling, der sich für die Inkarnation des letzten prä-zwotterischen Königs hielt, hatte ihnen gerade noch gefehlt.
»Ich hörte schon lange den Ruf, der an mich ging.« Tezohrs Stimme hatte das angenehme weibliche Timbre. »Aber es war mir lange nicht möglich, mich zu verwirklichen. Ein Teil der störenden Einflüsse kam von euch Menschlingen.«
Tekener war verwirrt. Er wusste, dass männliche Zwotter Sprachschwierigkeiten hatten und sich selbst nach langem Studium des Interkosmo hauptsächlich durch besondere Betonung ausdrückten und auf den Wortinhalt wenig Wert legten. Nun stand ihnen aber ein Zwotter gegenüber – eindeutig männlich –, dem es keine Probleme bereitete, sich richtig zu artikulieren. Dies hätte dafür sprechen können, dass er nicht degeneriert und wirklich die Inkarnation eines Prä-Zwotters war. Aber zur Zeit des Königs Tezohr hatte es kein Interkosmo gegeben.
»Behauptest du wirklich, der letzte König der untergegangenen Zwotterkultur zu sein?«, fragte Jennifer. »Wie kannst du uns dann in Fleisch und Blut gegenübertreten?«
»Ich bin tot, ja«, sagte der Zwotter in bestem Interkosmo. »Ich bin tot und nicht Fleisch und Blut, sondern bloß Verwirklichung. Aus Paraplasma geworden.«
Kehrila stürzte in dem Moment vor und riss das Psychod an sich. Sie floh damit unter lautem Geschrei aus der Halle.
»Helft mir ...« Tezohrs Stimme kippte, und Tekener hatte den Eindruck, als würde sich der mysteriöse Gnom für Sekundenbruchteile in Auflösung befinden. »Helft mir, mein Psychod zurückzuholen! Wenn es in falsche Hände gerät oder gar vernichtet wird, war alles vergebens. Ich hätte keine Aussicht mehr, meine Mission zu erfüllen.«
Tekener wollte fragen, was für eine Mission. Aber die Situation erlaubte das nicht. Zuerst galt es, Kehrila das Psychod wieder abzunehmen.
Das Experiment war geglückt. Endlich hatte sich der paraplasmatische Staub gefestigt und Gestalt angenommen.
»Du bist Tezohr?«, fragte Ahrzaba bang. Ein unheimliches Gefühl beschlich sie, weil ihr Gegenüber nicht antwortete. Ihre Ungewissheit schlug in Furcht um, die sich zu Entsetzen steigerte. War das Experiment nur scheinbar geglückt? Hatten sie ein paraplasmatisches Wesen ins Leben gerufen, das nur aussah wie die Inkarnation des legendären Tezohr, in Wahrheit aber ein hohler, nicht denk- und entscheidungsfähiger Paraplasmat war?
Schon einmal war nur totes Paraplasma erschaffen worden. Hatte sich die Nähe der Eindringlinge diesmal nicht minder destruktiv auf die Gedankenprojektionen der Probanden ausgewirkt?
»Bist du Tezohr?«
Ahrzaba befürchtete, dass die paraplasmatische Schöpfung wieder nicht antworten würde. Dann musste sie vernichtet und das Experiment neu in Angriff genommen werden.
Aber der Paraplasmat sagte in der Sprache, der sich auch sie und die Probanden bedienten: »Ich bin Tezohr. Dank eurer Unterstützung konnte ich meinen Wachtposten in dem Psychod, das ihr nach mir benannt habt, verlassen und auf diese Daseinsebene kommen. Es wäre mir lieber gewesen, dies nicht tun zu müssen. Aber da ihr den vorgegebenen Weg nicht gehen konntet, musste ich den umgekehrten wählen.«
Es war also wirklich geschafft. Ahrzaba spürte unsägliche Erleichterung. Die Gedankenprojektionen hatten das Psychod angeregt und König Tezohr zur paraplasmatischen Verwirklichung verholfen.
Wevellyn meldete: »Kehrila tendiert immer mehr zum Morphling. Sie hat Verbindung mit den Menschlingen aufgenommen und führt sie zu uns.«
»Lasst sie kommen!« Obwohl Tezohr vom Geschlecht her ein Morphling war, sprach er normal. »Während der Manifestation
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