Silberband 111 - Geburt einer Dunkelwolke
darstellen. Es handelt sich um ein Ei und einen optisch unansehnlichen Klumpen. Aber nicht ihre Form, sondern ihre Parusie verleiht ihnen den besonderen Status.
Ich erfahre bald, was mit Parusie gemeint ist. Als ich Elohas Aufforderung nachkomme und das eiförmige Psychod intensiv betrachte, wird es unter meinen Blicken zu einer rotierenden Kugel, deren Anblick mich schwindlig macht. Aus dem klumpenförmigen Psychod winkt mir ein Zwotter entgegen.
»Das Psychod von König Tezohr und seiner Gemahlin Khara«, erklärt mir Eloha. »Sie leben in ihren Kunstwerken weiter. Wenn es uns gelingt, mit ihnen in Verbindung zu treten, kann das die Rettung für unser Volk sein.«
Die sogenannten »Göttergaben« sind keineswegs stumm. Sie haben eine Melodie, nur können wir sie nicht hören, wenn wir vom Animus beherrscht werden.
»Wieso können die Lemys die Parusie empfangen, unsere Männer aber nicht?«, frage ich.
»Nur degenerierte Zwotter nennen die Vincraner Lemys«, belehrt mich Eloha. Ich erfahre von ihr, dass sie sich auf dem zweiten Planeten der Sonne Teconteen angesiedelt haben und ihn Vincran nennen. »Die Vincraner bilden keine Ausnahme – ich bin sicher, dass jedes Intelligenzwesen die Ausstrahlung der Psychode empfangen kann. Der Sonderfall sind wir, wenn wir uns in der männlichen Phase befinden. Unser Animus hat während der Naturkatastrophen schwer gelitten. Wir sind Gezeichnete. Die Vincraner dagegen sind erst vor Kurzem nach Arla Mandra gekommen, als sich die Situation längst beruhigt hatte. Da die Sendungen der Psychode nicht für sie bestimmt sind, leiden die Vincraner unter der Parusie. Deshalb wollen sie die Psychode vernichten. Wir müssen das verhindern, denn für uns bedeuten die Psychode die Rettung.«
Es gibt nicht mehr viele der paraplasmatischen Kunstwerke, denn die meisten gingen im Lauf der Zeit verloren. Die Frauenkolonie ist im Besitz von etwa hundert Psychoden.
»Die Vincraner dürfen nie von unserer Existenz erfahren«, sagt Eloha. »Für sie sind die Männer der Maßstab für unser Volk, und das ist gut so. Sollen sie nur glauben, dass wir ein Volk stupider Halbintelligenzen sind. Das ermöglicht es uns, im Geheimen an der Verwirklichung unseres Zieles zu arbeiten.«
Das Ziel ist die Beherrschung der Psychode. Eloha ist die Forschernatur. Da ich mich besser aufs Organisieren verstehe, verlege ich mich darauf, Schutzmaßnahmen zur Absicherung unserer Frauenkolonie zu treffen.
Ich erstelle Richtlinien für eine ethisch richtige Lebensweise und erlasse Verbote und Gebote. Die Tabus und Verhaltensmaßregeln haben den Zweck, uns vor einer Entdeckung durch Fremde zu schützen.
Der Vorgang der Geburt und der Frauwerdung wird mystifiziert. Die Frauenkolonie wird zum Sperrgebiet für männliche Zwotter erklärt. Das war bisher nicht viel anders gewesen, nur war auf die strenge Trennung der Geschlechter nicht so sehr geachtet worden. Das natürliche Vergessen bei der Geschlechtsumwandlung zum Mann hatte es nicht notwendig gemacht.
Ich überlasse nichts dem Zufall und erhebe das volksdienliche Verhalten zur Religion. Ich erschaffe neue Mythen, um die Wahrheit weiter zu verschlüsseln, obwohl wir selbst kaum mehr zwischen geschichtlicher Überlieferung und Legende unterscheiden können.
Eloha meint, dass ich es den kommenden Generationen erschwere, unsere wahren Anliegen herauszufinden. Aber solche Argumente lasse ich nicht gelten. Wir Frauen haben die Möglichkeit, unsere Erfahrungen mündlich an die nächste Generation weiterzugeben.
Den Vorschlag Elohas, uns die Technik der Vincraner zunutze zu machen, weise ich entschieden zurück. »Es wäre ein Verbrechen!« Das ist meine unumstößliche Meinung. »Technik verdirbt den Geist.«
»Aber es geht doch nur darum, unsere Erfahrungen aufzuzeichnen und für die Nachwelt festzuhalten. Die nächste Generation kann auf unseren lückenlosen Forschungsergebnissen aufbauen. Mündlich können wir unser Wissen nur bruchstückhaft weitergeben.«
»Mit solchen Reden bringst du Tezohrs Zorn über uns«, warne ich Eloha. »Tu Buße! Bitte vor dem Königspsychod um Vergebung, damit Tezohr dich nicht in ewige Verdammnis schickt.«
Eloha zeigt sich entsetzt. »Regga, wie weit ist es mit dir gekommen?«, drängt sie. »Bist du selbst schon diesem Aberglauben verfallen?«
»Reinige dich!« verlange ich, denn ich erkenne deutlich, dass die Gefahr nicht von den unwissenden Männern, sondern von den Frauen ausgeht, die sich für die Krone der Schöpfung
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