Silberband 116 - Der Auserwählte
Sektionschef ein ernstes Wort zu reden.
Nach zwei Stunden eifriger Arbeit im Vakuum legte Neerad eine Pause ein. Er streckte sich auf einer Landefläche für Raumfahrzeuge aus und gönnte sich einen erquickenden Schlummer.
Sich ausgerechnet dort hinzulegen war nicht sehr gefährlich. Zum einen waren seit Langem keine kleinen Schiffe mehr in die Nähe der Station gekommen, zum anderen war jeder Transport vorher bekannt. Außerdem hätte Neerads immer wacher Instinkt ihn gewarnt.
Es war dieser sichere Instinkt, der den Vilthaner nach wenig mehr als einer Stunde aufwachen ließ. Er stand auf, sehr vorsichtig natürlich. Bei der Vakuumarbeit waren seine Körperkräfte gewaltig, und er war einmal von der Station abgetrieben und erst nach zwei Tagen wieder aufgefischt worden. Diese Erfahrung wollte er kein zweites Mal machen.
Neerad rätselte, was ihn geweckt hatte. Er bückte sich und hielt ein Ohr an die Außenwand der Station. Die Geräusche klangen völlig normal.
»Seltsam«, sagte er zu sich selbst und sah sich um. Augenblicke später zweifelte er fast an seinem Verstand. Jemand näherte sich der Station. Ohne Vorankündigung. Vermutlich sogar ohne Erlaubnis!
Das Schiff war nicht sehr groß und vermutlich fremd. Die Konstruktion kam Neerad nicht bekannt vor, obwohl er erst wenig davon sehen konnte. Trotzdem verließ er den Landeplatz, auf den das Schiff zusteuerte; er hatte keine Lust, zerquetscht oder in Atome zerblasen zu werden.
Langsam senkte sich das Schiff auf die Landefläche herab. Hatte der Pilot Angst? Oder vertraute er der Besatzung der Station nicht?
Neerad kam das alles sehr seltsam vor. Aufmerksam betrachtete er das fremde Schiff. Noch nie hatte er dieses Modell gesehen, dabei lebte er schon sehr lange in der Station. Wer erdreistete sich, einfach so anzufliegen?
Neerad sah zu, wie das Schiff landete.
Nach einer Weile öffnete sich eine Schleuse. Licht fiel aus der Öffnung. Der Schein reichte nicht weit, doch wie ein Schattenschnitt zeichnete sich die Gestalt eines Raumfahrers ab, der das Schiff verließ.
War es schon höchst erstaunlich, dass überhaupt jemand wagte, die Station anzufliegen, so wurde Neerad vollends durch die Tatsache verwirrt, dass der Fremde allein kam.
Kemoauc blieb stehen.
Ein Wesen, wie es ihm jetzt entgegentrat, hatte der Mächtige nie zuvor gesehen. Ohne Schutzanzug bewegte es sich im Vakuum.
Niemand hatte Kemoauc am Anflug auf die Kosmische Riesenburg gehindert. Er war nicht ins Visier schwerer Waffensysteme geraten und ebenso wenig angefunkt worden. Vorübergehend fragte er sich, ob diese Gigantstation solcher Sicherungsmaßnahmen nicht bedurfte.
Langsam hob Kemoauc die offene Hand.
Ihm gegenüber stand ein knapp zwei Meter großes dreibeiniges Geschöpf. Es hatte zwei lange Arme, die jeweils in einem Dutzend feiner Klauen ausliefen. Die Haut war teilweise von großen Schuppen bedeckt
-eine unvollständige Panzerung jedenfalls, denn an einigen Stellen schimmerte das Fleisch durch.
Bemerkenswert war der Kopf des Wesens, ein Echsenschädel mit schmalen, langen Kiefern und drei nebeneinanderliegenden hochgeschwollenen Kämmen. Seine Augen schimmerten gelblich.
Offenbar verstand die Echse Kemoaucs Geste, denn sie kam weiter auf ihn zu. Schließlich streckte sie einen Arm nach vom und legte die Klauen auf Kemoaucs Helm. Verzerrt wegen des schlechten Schallleiters, aber dennoch einigermaßen verständlich konnte Kemoauc die Echse verstehen.
»Wer bist du?«
»Nenne mich Kemoauc«, sagte der Mächtige. »Und dein Name?«
»Neerad. Was willst du hier?«
»Ich möchte die Burg besuchen.«
»Hier ist keine Burg.«
»Wir stehen auf ihrer Oberfläche.«
»Unsinn, dies ist eine Station.«
»Welche Station?«
»Welche? Welche? Es gibt hier nur diese eine.«
»Führe mich ins Innere«, bat Kemoauc. »Ich bin für ein Leben im Vakuum nicht geschaffen.«
»Folge mir!«
Kemoauc schloss das Bodenschott der Space-Jet, ohne es jedoch zu verriegeln, dann folgte er der seltsamen Echse.'
Neerad bewegte sich mit aller gebotenen Vorsicht mehrere hundert
Meter weit. Schließlich betrat er eine offen stehende Schleuse und winkte dem Mächtigen, ihm zu folgen. Kemoauc zögerte nicht.
War dies ihm vertraute Technik? Die Konstruktion der Schleuse kam dem Zeitlosen bekannt vor, aber das konnte ebenso gut täuschen. Die technischen Lösungen vieler Probleme sahen sich bei sehr verschiedenen Völkern stets sehr ähnlich, besonders dann, wenn die Lösung gut war.
Neerad
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