Silberband 116 - Der Auserwählte
und Knochen ...
Vor Jahrmillionen?
Kemoauc spürte, wie ihn Schwindel ergriff. Eine urplötzlich in ihm aufsteigende Angst überfiel den Mächtigen, ein Entsetzen, das sein Hirn mit Schreckensbildem überschwemmte.
War dies vielleicht die Werkstatt, in der vor undenklicher Zeit...?
Kemoauc stieß die nächste Tür auf.
Retorten waren zu sehen. Kessel, große Becken, Leitungen und Röhren. Eine Hexenküche, wie geschaffen für Biochemiker.
»Ganerc!«, stöhnte Kemoauc auf.
Die Einzelheiten verdichteten sich, das Bild bekam Umrisse. Künstliches Leben war hier zusammengekocht worden.
»Ariolc!«
Kemoauc taumelte durch die Räume. Wie im Fieberwahn starrte er um sich und nahm die Einzelheiten des großen Mosaiks in sich auf.
Fleisch war in diesen Laboratorien gezüchtet worden. Ebenso Blut. Und Knochen.
»Partoc, Lorvorc ...«, ächzte Kemoauc.
Er blieb stehen. Der Schock ging tief.
»Murcon und Bardioc«, stieß Kemoauc hervor.
Und schließlich er selbst: Kemoauc, der Letzte der Mächtigen, der Zeitlose.
War er hier entstanden? In diesen Räumen von seelenlosen Robotern erschaffen? Aus irgendeinem Schlamm gekocht, eine Karikatur der Schöpfung?
Der Sturz war tief und ließ keine Schmach und Schande aus. Dié Demütigung krempelte den Mächtigen völlig um.
War das der Grund, warum keiner der Mächtigen ein echtes Gedächtnis besaß? Weil sie irgendwann, auf Knopfdruck gleichsam, erwacht waren? Vorher seelenlose Geschöpfe, Maschinengeburten, danach willfährige Werkzeuge in der Hand Größerer.
Lagen hier noch andere herum?
Abfallkemoaucs? Ausschussware? War damals ebenso gründlich ausgewählt worden wie in der Fabrik, die Kemoauc erlebt hatte? Lagen in Arsenalen Hunderttausende andere Mächtige herum und warteten auf den Tag, an dem der Ruf endlich ihnen galt?
Kemoaucs Brust hob und senkte sich in wilden Stößen.
Lag hier irgendwo die Schablone, nach der man - wer? - Hunderttausende von Kemoaucs geschaffen hatte, von denen nur einer dazu bestimmt gewesen war, nicht auf dem Abfall zu landen?
Gewaltig war die den Zeitlosen gestellte Aufgabe gewesen. Gewaltig hatten sie sich gefühlt.
»Mächtiger, was ist mit dir? Können wir dir helfen?« Die Stimmen der Vilthaner drangen an Kemoaucs Ohren, aber sie rissen ihn nicht aus den qualvollen Gedanken.
Die Vilthaner hatten ein größeres Recht auf Leben als er. Das niederste Insekt war echter als der Mächtige Kemoauc, der lange Zeit souverän über Leben geboten hatte - nun erkannte er, dass er nur ein Spielzeug gewesen war.
War dies die Strafe für seinen Versuch, dem Geheimnis der Materiequellen auf den Grund zu gehen? Ausgerechnet er, der mehr für die Pläne der Kosmokraten getan hatte als irgendein anderer, wurde so gedemütigt?
Kemoauc musste sich an einer Wand abstützen, so schwach fühlte er sich mit einem Mal. Als besonders quälend und peinigend empfand er die Tatsache, dass man ihn und seine Gefährten ausgesandt hatte, Leben zu verbreiten. Zu diesem Zweck waren die Sporenschiffe gebaut worden.
»Was für ein Hohn«, murmelte Kemoauc.
Ausgerechnet er und seine Brüder, die über die Sporenschiffe geboten hatten, waren Kunstwesen, die vollkommen gewordene Unnatürlichkeit. Das Ebenmaß des Körperbaus, die präzise funktionierende Intelligenz, die Stärke und Kraft der Körper, die Geschmeidigkeit der Bewegungen - nichts weiter als Ergebnis einer langen Versuchsreihe.
Zur Scham über diese Demütigung gesellte sich noch ein Gefühl: Hass! Und der Wunsch nach Rache.
Alles deutete darauf hin, dass in der Fabrik ein ähnliches Programm ablief wie das, dem Kemoauc entstammte. In der Riesenburg wurde in dieser Zeit ein neuer Mächtiger erschaffen - wenn Kemoaucs These stimmte.
Panik griff nach dem Zeitlosen. Was, wenn er selbst gerade neu erschaffen wurde?
Dann aber fiel Kemoauc ein, dass offenkundig nur ein Roboter gebaut wurde. Der Mächtige nahm sich vor, diesen Roboter aufzuspüren und zu befragen. Er selbst oder einer seiner Schöpfer musste die Wahrheit kennen...
Er beobachtete genau, was in seinem Reich geschah. Sein Leben hing davon ab, das vergangene wie das zukünftige. Der große Plan durfte nicht gefährdet werden, und es lag an ihm, über die Vollendung zu wachen.
Der Ankömmling war ihm keineswegs entgangen. Nichts entging ihm, denn er war auf seine Art perfekt.
Selbstverständlich hatte er Kemoauc den Zutritt gestattet, das war er dem Letzten der Mächtigen schuldig. Dass Kemoauc die Fabrik gleichsam durch die
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