Silberfieber
sehr ungeduldig. Sie trafen sich unter der letzten Laterne der Sackgasse, und Hauptkommissarin Christine Keller klappte ihren Regenschirm ein.
»Guten Abend«, sagte sie, »wer von Ihnen ist Frank Schönbeck?« Ihr Englisch war nahezu perfekt.
Sie blickte von einem zum anderen. Beide waren an die zwei Meter groß, hatten schulterlange, glatte, blonde Haare, trugen Jeans und braune Lederjacken und hatten je einen Rucksack geschultert. Als Frau Keller sie von der Kensington High Street in den Crescent Court hatte einbiegen sehen, hatten sie ausgesehen wie Zwillinge, die sich einen Spaß daraus machten, die gleiche Kleidung zu tragen, um ihre Mitmenschen zum Narren zu halten. Und beide sahen sie jetzt freundlich lächelnd und mit offenem Blick ausgesprochen arglos an. Aber darauf konnte man nie viel geben. Eine der ersten Lektionen, die sie in ihrem Beruf gelernt hatte, war, dass es Menschen gab, die die Kunst, sich zu verstellen, sehr gut beherrschten. Auch wenn es nicht sehr viele waren.
»Ich bin Frank Schönbeck.«
Frank streckte ihr die Hand entgegen. Sie schüttelte sie. »Christine Keller, Morddezernat Hamburg.«
Peter stellte sich vor und gab sich gar nicht erst Mühe, die wenigen deutschen Begrüßungsformeln, die er kannte, an der Kommissarin auszuprobieren. Frau Keller nahm die englische Konversation wieder auf, während Peter die Wohnungstür aufschließen wollte.
»Die Tür ist ja offen!«, rief er überrascht und wollte eintreten.
»Halt, bleiben Sie lieber stehen.« Christine Keller hielt ihn am Arm zurück und stieß mit der Hand einmal kräftig gegen die Tür. »Haben Sie die Tür abgeschlossen, als Sie das Haus verließen?«
»Ja, natürlich«, sagte Peter, verschwieg aber, auf welchem Weg sie das Haus verlassen hatten. Es gab noch andere Dinge, die weder er noch Frank ihr erzählen wollten: erstens, dass sie wussten, dass Einstein hier war, und zweitens, dass die mysteriöse Karte sich in ihren Händen befand.
Als die Tür aufschwang, stieß Peter einen lauten Fluch aus. Er hatte zwar befürchtet, dass sich Einstein womöglich Zutritt zu seiner Wohnung verschafft hatte, aber das Chaos, auf das er jetzt blickte, hatte er bei Weitem nicht erwartet.
Aus allen Regalen waren die Landkarten herausgerissen worden, die Stehsammler und Aktenordner lagen auf dem Boden, und genauso war es den großen Sammelmappen ergangen. Die Papprollen lagen geöffnet im Zimmer herum. Papiere, zu Haufen zusammengetragen und dann wieder verstreut, sammelten sich in den Zimmerecken, eines der Bücherregale war umgestürzt worden. Peter stieß ein paar Verwünschungen aus, die weder Christine Keller noch Frank verstanden.
»Das wird ewig dauern, bis ich das wieder einsortiert habe«, fügte er resigniert hinzu und zählte dann noch ein paar unschöne Dinge auf, die er demjenigen antun würde, der das Chaos in seiner Wohnung angerichtet hatte, würde er ihn jemals in die Hände bekommen.
Zusammen kontrollierten sie die Küche und das Schlafzimmer. Dort war zwar offenbar auch gesucht worden, aber es sah nicht halb so schlimm aus wie in dem völlig verwüsteten Wohnzimmer. Peter wollte gerade die ersten auf dem Boden liegenden Landkarten wieder aufsammeln, wurde aber von Frau Keller gestoppt.
»Halt, halt, das will ich mir später alles noch mal ganz genau ansehen. Gibt es hier einen Raum, wo wir uns in Ruhe unterhalten können und der nicht durchsucht worden ist?« Peter sah sie etwas verblüfft an.
»Höchstens auf dem Dachboden, da gibt es einen kleinen Raum. Dort stehen aber nur ein paar Klappstühle, und es wird auch ziemlich kalt sein.«
»Ganz hervorragend«, sagte Christine Keller, »genau das Richtige für einen Samstagnachmittag-Tee, auch wenn es dafür vielleicht schon etwas spät ist. Aber das macht ja nichts, ich hatte meine Tasse vorhin schon, als ich auf Sie gewartet habe. Also, wo geht’s auf den Dachboden, Mr. Adams?«
Sie stiegen in den dritten Stock hinauf und erklommen zuletzt eine schmale Holztreppe, die zu einer Tür führte, die mit einem Vorhängeschloss gesichert war.
»Na, wenigstens wurde hier oben nicht alles durchwühlt«, sagte Peter, während er aufschloss.
»Ja, ein ideales Versteck für diese Landkarte, finden Sie nicht auch?«
Peter sah Frau Keller mit einem, wie er hoffte, betont ausdruckslosen Gesicht an. Diese Kommissarin schien ihr Handwerk zu verstehen. Aber da auch Frank sich bei der Bemerkung nichts hatte anmerken lassen, hatten sie den ersten Test anscheinend
Weitere Kostenlose Bücher