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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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fragte er.
    »Wer?«
    »Die Jungen.«
    »Leonard und Matthias«, sie antwortete ohne Zögern, als sei sie sich sicher.
    »Wie alt?«
    |39| »Fast zehn, Matthias etwas jünger«, sie nahm die nächste Kartoffel.
    Sie musste die Geschichte vorbereitet haben, er hatte einen Fehler gemacht, er hätte gleich fragen sollen.
    »Wie ist Ihr normaler Tagesablauf bei der Familie?«
    »Ich steh auf und arbeite und arbeite und arbeite und lege mich schlafen.«
    »Sind Sie sozialversichert?«
    Das Messer unter der Kartoffelschale wurde langsamer.
    »Wie meinen Sie das«, fragte sie vorsichtig, sie sah ihn nicht an.
    »Arbeiten Sie schwarz? Illegal?«
    »Nein, aber ich arbeite, bis ich schwarz werde«, sie lachte kurz auf, sie log.
    »Und wohin ist die Familie gefahren?«
    »In die Türkei, das haben Sie schon gefragt.«
    »Ja, und jetzt frage ich Sie noch mal.«
    Ihre Hände legten die fertig geschälte Kartoffel in den Schalenhaufen auf der Arbeitsplatte, sie stemmte eine Hand in die
     Hüfte, beschmierte ihr schwarzes T-Shirt mit Erde und Kartoffelstärke.
    »Ist das ein Verhör?«
    Sie starrte ihn an, es war anstrengend, sich nicht zu rühren, ihren Blick zu erwidern. Sie wandte sich zuerst ab, nahm eine
     Kartoffel, still war es, er konnte hören, wie der Schäler unter die Schale fuhr, sie ablöste.
    »Was kochen Sie denn«, fragte er schließlich.
    »Kartoffelsuppe.«
    Sie drehte sich nicht um, schälte ruhig weiter, »mit Zwiebeln und getrockneten Pilzen«, sie deutete mit |40| dem Kinn auf ein Tütchen, das auf der Arbeitsplatte lag, »wenn die Pilze noch gut sind.«
    »Pommersche Kartoffelsuppe«, er nickte zufrieden, »hat meine Mutter auch gekocht.«
    »Wenn ich sie koche, heißt sie polnische Kartoffelsuppe«, sie legte die Kartoffeln ins Spülbecken, verschloss den Abfluss
     mit dem Stöpsel und drehte den Wasserhahn auf.
     
    Er konnte nicht essen. Seine Hand zitterte, er fühlte Frau Potulskis Blick auf ihr, auf dem vollen Löffel, dickflüssige Kartoffelsuppe
     tropfte auf die Tischdecke, versickerte langsam in der Wolle, dampfte noch ein wenig. Er traute sich nicht zu pusten, wusste,
     er würde sich die Zunge verbrennen, er ließ den Löffel zurücksinken in den Suppenteller.
    »Schmeckt es?«
    »Es tut seinen Dienst«, antwortete er.
    »Ihre Haare müssen geschnitten werden«, sagte sie.
    Seine Hand fasste augenblicklich nach seinem Kopf, dorthin, wo ihr Blick ruhte, fuhr die borstigen Haare im Nacken entlang,
     strich sie an den Schläfen nach hinten.
    »Ich kann das machen.«
    Sie aß einfach weiter. Er ließ die Hand sinken, er ging regelmäßig zum Friseur. Meist auf dem Heimweg vom Fotografieren, wenn
     er zufällig an einem Laden vorbeikam, er suchte immer die Friseurin aus, die am ältesten aussah, »kürzen«, sagte er einfach,
     meistens verstanden sie ihn.
    »Ich habe oft geschnitten, ich habe gearbeitet als Friseurin, |41| jahrelang«, Jana Potulski lächelte. »Sie essen gar nicht.«
    »Nein«, er schüttelte den Kopf, »danke.«
    »Sie haben keinen Fernseher«, sie fragte nicht, sie stellte fest, sie hatte sich umgesehen, hatte vermerkt, was da war und
     was nicht. Sie sah in den Flur.
    »Im Wohnzimmer ist auch keiner«, sagte er, pustete tief über den Teller gebeugt, schob den Löffel in den Mund, als sie sich
     wieder dem Tisch zuwandte. Die Suppe war gut.
    »Ich habe nichts, was sich zu stehlen lohnt«, sagte er mit vollem Mund, nickte zufrieden, sie hatte eine Augenbraue hochgezogen.
     »Keinen Fernseher, keinen Schmuck, kein Bargeld im Haus, keine silbernen Löffel.« Hochgezogen zu einem spitzen Dreieck, sie
     konnte eine einzelne Braue hochziehen, er konnte das nicht, obwohl er geübt hatte, als Polizeikadett vor dem Spiegel. »Nichts«,
     er nickte nochmals bekräftigend, er war aufgestanden. Sie sah erstaunt zu ihm auf, die Stirn in Falten geschoben.
     
    Den grünen Samtsessel benutzte er sonst nicht, der Sessel war zu weich. Wenn er die aufgeschlagene Zeitung sinken ließ, konnte
     er durch den Flur die verschlossene Badezimmertür sehen.
    Nachdem sie abgewaschen hatte – »Sie machen nichts, Sie machen, was Sie sonst auch immer machen« –, hatte sie an die Dunkelkammertür
     geklopft und gefragt, ob er noch etwas brauche. Statt den Berliner Dom zu entwickeln, hatte er im Dunkeln gestanden, sich
     mit einer Hand auf die Arbeitsplatte aufgestützt |42| und ihr beim Abwaschen zugehört. Dem Schwappen des Wassers gegen die Metallwände der Spüle, dem aufgedrehten Wasserhahn, dem
    

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