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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Frau Potulski, richtig, Jana Potulski musste heute gehen. Er fand die Taschentücher,
     vielleicht hatte sie das Klappern gehört, leise schnäuzte er sich die Nase. Sein Pyjama war nass am Rücken, durchgeschwitzt
     im Schlaf, das Laken ebenso, der Schweiß an der Luft erkaltet. Er streckte sich wieder im Bett aus, wickelte sich ein in klamme
     Feuchtigkeit, sein Bademantel hing im Bad.
    Er blieb liegen, sie war wach, er hörte die Klospülung, der Boiler zündete, er hörte die Dusche, die Dusche klang nach Regen
     auf einem Plastikdach. Klang ungewohnt, klang ganz anders, als wenn er selbst duschte. Er kannte die Geräusche seiner Nachbarn,
     ihr Wasserrauschen, das Gluckern und Platschen im Fallrohr. So höre ich mich an, dachte er, jeden Morgen höre ich mich an
     wie Regen auf einem Plastikdach.
    |46| Er blieb liegen, sie duschte lange, warmes Wasser gab es in Polen anscheinend umsonst. Er blieb liegen, sie ging in die Küche,
     sicher hatte sie das Fenster nicht geöffnet, und das Badezimmer war gefüllt mit warmfeuchter Duschluft, nach Seife und Toilettengang
     riechend.
    Er hörte ein Geräusch an der Tür, die Klinke bewegte sich, runter, hoch, wieder runter, die Tür bewegte sich nicht. Einen
     Augenblick war es still im Flur, er meinte ein leises Klirren zu hören, es klopfte. Frau Potulski klopfte an seine Tür, die
     Tür war abgeschlossen, er hatte sich eingeschlossen, es fiel ihm wieder ein. Er stand auf, in seinem Pyjama, knochig, dessen
     war er sich sehr bewusst, knochig drückte er die Klinke, drehte er den Schlüssel, er konnte in seiner Wohnung abschließen,
     was er wollte, knochig stand er in der Tür, Frau Potulski lächelte.
    »Guten Morgen«, sie trug ein hellblaues Tablett, nein kein Tablett, sie trug eine große, flache Entwicklerschale vor sich
     her. »Sie trinken Tee, keinen Kaffee«, sie zeigte mit dem Kinn in Richtung der Teekanne. Neben der Teekanne lagen Messer und
     Gabel in eine weiße Serviette gewickelt, standen ein Eierbecher mit Ei, ein Dessertschälchen mit hellroter Marmelade, ein
     Teller mit vier Scheiben Graubrot, ein Teller mit zwei aufgerollten Käsescheiben und zwei aufgerollten Kochschinkenscheiben,
     dazwischen helle Buttervierecke.
    »Die Zeitung liegt vor der Haustür auf dem Boden«, erwiderte er. Die Entwicklerschalen standen gestapelt im Regal in der Dunkelkammer,
     er hatte vor dem Schlafengehen vergessen, sie wieder abzuschließen.
     
    |47| In der Zeitung keine Nachrichten aus Rheinsberg, nicht auf den Brandenburg-Seiten und nicht im Polizeiticker. Sein Bademantel
     hing im Bad, er schlug die Decke zurück, es brannte von der Hüfte über die Innenschenkel hinab bis zu den Zehen, als er sich
     aufsetzte. »Ischias«, sagte er leise vor sich hin. Er schob das Tablett mit beiden Händen in Richtung Fußende, die Teekanne
     blieb stehen, schwankte nur, dafür verklebte ein Marmeladenfleck zwei Lakenfalten miteinander, und in der Kuhle, die sein
     Rücken in die Matratze gedrückt hatte, sammelten sich Graubrotkrümel. Es gab kein Bild für heute, er schob die Zehen in seine
     Pantoffeln, weinrote Pantoffeln, noch von ihr gekauft und von der Hornhaut seiner Fersen durchgescheuert. Nichts war festgelegt.
     Nicht, wohin er fahren würde, nicht, was er sehen wollte, nicht, wo er das Stativ hinstellen würde, und nicht, wie das Licht
     sein sollte. Nichts hatte er beschlossen, nicht vor dem Einschlafen, im Bett, als das Kopfkissen angefangen hatte, sich klumpig
     anzufühlen, und nicht nach dem Aufwachen, als Jana Potulski im Bad gewesen war.
    Er sah ihre Finger wieder die Goldränder des Tellerstapels hinabfahren, sie würde alle Schubladen öffnen und alles gründlich
     aus- und einräumen, vielleicht dazwischen irgendwas abwischen, damit es recht war. Sie würde in die Schränke hineinsehen,
     in die schwarzen Kartonschuber, in den Sekretär, in seine Wäschekommode, in den Nachtschrank. Er konnte nicht fahren.
     
    |48| Frau Potulski hatte auf ihn gewartet. Als er die Badezimmertür öffnete, deutete sie mit dem Finger auf den grau gekachelten
     Boden hinter ihm.
    »Silberfische.«
    Er fühlte, wie die warmfeuchte Luft an ihm vorbei in den Flur entwich, er hielt den Atem an.
    »Sie müssen Fallen kaufen«, sagte sie, »viereckige Fallen für die Ecken.«
    Eine hellgrüne Zahnbürste lag auf dem Waschbeckenrand, sie war recht neu, die Bürsten gerade, er stellte sie neben seine in
     den Zahnputzbecher.
    Das Badezimmerfenster war beschlagen, es ließ sich nicht

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