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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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vor Müdigkeit, die Augäpfel fühlten sich rau an, wenn die Lider beim Blinzeln
     darüberglitten, die Lidränder brannten. Sie kam nicht. Er wollte nur kurz den Kopf ablegen, ihn nicht mehr hochhalten müssen,
     die Muskeln in seinem Nacken waren hart, er presste die Fingerspitzen dagegen, sie gaben kaum nach, schmerzten, wenn er den
     Kopf zu Seite drehte. Die Augen schließen, er wagte es nicht, kurz den Kopf auf die Arme legen, er war müde und unter ihm
     nur leerer Bürgersteig. Er würde einschlafen, den Augenblick verpassen, in dem er handeln musste, das Fenster aufreißen, hinabrufen,
     hinabrufen, so laut er konnte, er räusperte sich. Er würde schlafen, und sie würde langsam die Straße entlangkommen, die Eingänge
     mustern, versuchen, seinen Eingang wiederzuerkennen. Es gab mehrere gelbgestrichene Häuser in der Straße, wenn sie sich an
     die Farbe erinnerte, müsste |128| sie nur noch die Klingelbretter absuchen, Mildt hieß er, das hatte er ihr gesagt. Er glaubte nicht, dass noch ein Mildt in
     einem der gelben Häuser wohnte, aber sicher war er natürlich nicht.
     
    Unter
O
fand er nichts, nicht einmal einen Verweis, sie standen unter
N
wie
Notunterkünfte
, für Berlin-Mitte war nur eine Rufnummer angegeben. Lange starrte er den Hörer an, bis plötzlich seine Hand vorschnellte,
     abnahm, wählte.
    »Ja«, fragte eine Frauenstimme, ohne Begrüßung, ohne ihren Namen zu nennen, er überlegte, ob er auflegen sollte.
    »Ist Frau Potulski bei Ihnen«, fragte er stattdessen, »Jana Potulski, sie ist Polin«, setzte er hinzu. Einen Moment war es
     still.
    »Dazu kann ich Ihnen aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben«, antwortete sie.
    »Ich will nur wissen, wo sie abgeblieben ist, nichts weiter, sie kann bei Ihnen bleiben, ich will nur wissen, ob sie da ist«,
     sagte er, seine Stimme klang bittend, als würde er gleich weinen, stellte er erstaunt fest.
    »Ist die Dame denn obdachlos«, fragte sie.
    »Sie ist keine Dame«, antwortete er und legte auf.

[ Menü ]
    |129| 12.
    Er träumte von seinem Schichtleiter. »Stimmen Sie der Aufnahme in das Schwarzfahrerregister zu«, fragte der Schichtleiter
     und lächelte. Er antwortete nicht, hatte sich nur gewundert, woher das Summen kam, das er unentwegt hörte. An mehr konnte
     er sich nicht erinnern.
    Er träumte von ihr.
    »Guten Morgen, Hermann«, sie stand in der Tür, sie trug kein Tablett, sie trug die blaue Tasche vor sich her, die Tasche lag
     auf ihren Unterarmen, ihre Handflächen zeigten nach oben.
    »Ich will nicht«, sagte er, »ich will nicht«, während er sprach, versuchte er sich zu erinnern, was er nicht wollte, es fiel
     ihm nicht ein.
    Sie sah ihn stumm an. Er trat in die Bettdecke, glatter Widerstand. Er trat ins Leere, bis seine Beine strampelten, seine
     Zehen ans Fußteil des Bettes stießen, er rutschte tiefer, stampfte die Wut ins Holz, das dumpfe Bullern beruhigend. Sie stellte
     ihre Tasche auf den Boden, blieb an der Bettkante stehen, beugte sich über ihn. Jana Potulski nahm das zweite Kopfkissen,
     streckte die andere Hand aus, ihre gut gepolsterte Hand, und berührte kurz seine Wange. Ihre Finger waren warm.
    |130| »Gut«, sagte sie und hob das Kissen. Vielleicht wollte sie es ausschütteln, doch es kam auf ihn zu, senkte sich weiß und bauchig.
     Er wollte es mit der Hand wegschieben, was tat sie denn, das Kissen war viel zu nah.
    Er sog Luft ein, sog kleine Partikel, sog Staub, Stofffasern des Kissens mit ein, fühlte, wie sie schnell seine Nasenlöcher
     hinaufschossen, sich auf die Innenwände legten, an den Schleimhäuten klebenblieben. Er wollte nach ihr greifen, aber da war
     nichts, als hätte sie keine Arme, die das Kissen in sein Gesicht drückten. Er riss den Mund auf, Weiches drang in seine Mundhöhle
     vor, der Stoff schmeckte schal.
    Als er aufwachte, konnte er nicht atmen. Er hustete, fühlte zähen Schleim in seiner Kehle, jedes Keuchen schleuderte ihn ein
     Stück höher. Der Schleim wanderte die Luftröhre hinauf, in seinen Rachen, in seinen Mund. Er spuckte aus, spuckte in seine
     Handfläche, auf dem Nachttisch lagen keine Taschentücher, er wischte die Hand an der Bettwäsche ab.
    Was würde sie mit ihm anfangen? Sie würde ihn liegen lassen, weglaufen, die Haustür zuschlagen. Nein. Zuvor würde sie alles
     abwischen, jeden Hinweis beseitigen, dass sie jemals in seiner Wohnung gewesen war, bei ihm gelebt hatte. Die Tür würde sie
     leise schließen und still die Treppe hinabgehen. Sie würde ihn

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