Silberfischchen
erleichtert.
Er zog den Mantel nicht aus, nahm die Mütze nicht ab, seine Zehen schmerzten vor Kälte. Ließ sich auf die Couch fallen, schloss
die Augen, hörte zu, wie seine Zähne rasend schnell aufeinanderschlugen. Vor ihm auf dem Tisch lag noch immer der Bildband,
sie hatte ihn nicht weggeräumt. Ein Tropfen lief über sein Gesicht. Schnee schmolz auf seiner Mütze, er nahm sie |122| ab, legte sie neben sich auf das Polster, schloss erneut die Augen. Er hatte nichts gegessen, die Brote waren noch in der
Fototasche. Die Tasche stand im Flur, er müsste nur aufstehen und sie holen, er blieb sitzen. Nicht einmal den Tee hatte er
getrunken. Wenn er an das altbackene Graubrot dachte, von der Butter durchweicht, verspürte er Widerwillen.
Schließlich beugte er sich vor, griff nach ihrer blauen Tasche, der Reißverschluss leistete keinen Widerstand, schnurrte auf.
Zuoberst lag das schwarze T-Shirt, nicht zusammengelegt, er drückte sein Gesicht in den weichen Stoff, sog Waschmittelgeruch
ein und etwas Herbes. Eine türkise Haarbürste, gelbliche Haare in ihr verwebt, die Plastikborsten mit einer grauen Schicht
aus Staub und Fett überzogen. Auf dem Griff Reste einer Aufschrift,
InStyle
hatte dort gestanden, in Schwarz, das half nicht weiter, solche Bürsten konnte man in jedem Supermarkt Europas kaufen. Er
legte die Bürste auf den Couchtisch, hob das T-Shirt auf und legte es daneben. Der weiße BH sah seltsam aus in seinen schwarzen
Lederhänden, hell und zerbrechlich, ungeduldig zog er an den Fingern der Handschuhe, warf sie achtlos zu Boden. Kein Herstelleretikett,
nur ein Schildchen, auf dem
85C
stand, er legte den BH zu den anderen Sachen, richtete sie akkurat an der Tischkante aus. Zwei Unterhosen, eine davon unbenutzt,
eine Flasche, auf der
Bodylotion
stand, sie roch nach Vanille, ein Paar Tennissocken, getragen, eine dunkle Hose, ein Paket Pflaster, das ungeöffnet aussah,
sonst nichts. Er öffnete die Schachtel mit den Pflastern,
sechsunddreißig Stück
stand auf der Packung, er zählte sie, es fehlte keins. Sie |123| hatte wenig Gepäck für jemanden, der auf den Weg in den Urlaub gewesen war.
Beim Aufstehen stieß er mit der Ferse gegen den Telefontisch, der Hörer rutschte von der Gabel, leise hörte er das Freizeichen.
Vielleicht sollte er die Polizei anrufen, die Krankenhäuser, er schob den Hörer wieder auf den Apparat.
Dort, wo er gesessen hatte, war einer nasser Fleck auf der Couch. Bestimmt musste das Leder eingefettet werden, und trocknen
müsste man es vorher, das konnte sie erledigen, wenn sie wieder da war, sollte sie zusehen, wie sie den Fleck wegbekam.
Er ging im Bad nachsehen, die Haustür stand offen, einen Augenblick stand er im Flur, spähte ins dunkle Treppenhaus, ob sich
jemand bewegte, sie sich bewegte, doch da war nichts. Er drückte die Tür zu, schloss ein Mal, schloss zwei Mal ab und steckte
den Schlüssel in die Hosentasche.
Ihre Zahnbürste, hellgrün, stand im Zahnputzbecher auf dem Waschbeckenrand, er nahm sie in die Hand. Die Borsten weiß und
gerade, er drückte sie mit dem Daumen zusammen, er hatte seine Hände nicht gewaschen, drückte sie noch mal zusammen, den ganzen
Tag nicht, anmutig bogen sich die Borsten zur Seite. Sie hatte gesagt, sie sei überfallen worden, er hatte sie gar nicht danach
gefragt.
Er sah auf, in den Spiegel, schwarzer Mantel, schwarze Mütze, seine Augen größer als sonst, mehr gelblicher Augapfel war sichtbar,
durchzogen von einem roten Netz. Er nahm die Mütze ab, sie hinterließ eine Linie auf seiner Stirn, die sich in den Haaren
fortsetzte, er |124| ließ die Mütze fallen. Seine Augen weit aufgerissen, er rieb mit den Fingern über die Mützenlinie, aufgerissen, als hätte
er Angst. Entweder hatte sie nicht geplant wegzulaufen, oder sie benötigte die Sachen nicht. Er wusste nicht, ob sie die Adresse
kannte, genannt hatte er sie ihr nicht.
Er duschte lange, drehte das heiße Wasser voll auf, wollte die bleiche Kälte aus seinem Körper spülen. Er blieb still stehen
unter dem Strahl, bis seine Haut dunkelrot war und Adern lila hervorquollen, wo eben noch glatte Haut gewesen war. Seine Füße
waren geschwollen, die Hände auch, als er aus der Dusche stieg und die Heizung aufdrehte.
Die Haare rieb er mit dem Handtuch trocken, bis er bemerkte, dass es ihr Handtuch war. Unschlüssig besah er es, verspürte
keinen Ekel, rubbelte weiter, das Handtuch roch nach Waschmittel. Er zog eine
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