Silberfischchen
beiseiteschoben, an den Rand zu den Wollmäusen. Er lauschte dem sanften Geräusch,
mit dem die Pantoffelsohlen auf den Dielen aufsetzten, dem kurzen Klatschen, mit dem sie wieder an seine Ferse zurückschnellten,
der Rhythmus sehr gleichmäßig und seltsam beruhigend. Er las die Brandenburgseiten, die Polizeinachrichten, nichts.
Frau Potulski
, schrieb er,
ich werde heute Abend wiederkommen, warten Sie, ich komme wieder, H . Mildt
. Er war nicht unzufrieden, legte den Zettel beiseite, nahm einen neuen.
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Liebe Frau Potulski
, schrieb er,
es war falsch wegzulaufen, dennoch bin ich bereit zu verzeihen. Ich werde am Abend wieder zu Hause sein, Sie warten am besten
vor der Tür, dort können Sie sich unterstellen, herzlich Hermann Mildt
. Er wusste nicht, ob sie Deutsch lesen konnte oder nur sprechen, er hatte nicht gefragt, Potulski unterstrich er doppelt, damit sie es auch sah.
Zuerst klebte er den Zettel mit Tesafilm an sein Klingelschild, Mildt war schlecht zu lesen unter dem Klebestreifen. Er musste
noch einmal hochgehen, in seine Wohnung, die Reißzwecken fand er im Sideboard. Er heftete den Zettel fest ins Holz der Haustür.
Der Rücken der Reißzwecke hinterließ einen dunkelroten, schmerzenden Kreis auf seinem Daumen, auf dem Weg zur U-Bahn rieb
er mit dem Zeigefinger drüber, bis der Schmerz allmählich nachließ.
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|135| 13.
Der Saft war weg. Das bedeutete nicht, dass sie zurückgekehrt war, die Stadtreinigung oder ein Obdachloser konnten ihn entfernt
haben. Den Schnee hatte der Regen fast weggewaschen, Streusand, aufgeweichten Müll und Kot auf dem Bürgersteig verstreut.
Er suchte die Stelle, an der er gestanden hatte, suchte die verbliebenen Schneeinseln nach den vier gestanzten Löchern des
Stativs ab. Das war Unsinn, er suchte dennoch.
Der Wind ging in Böen. Sie fuhren unter den Schirm und zerrten, seine Handschuhe regenfeucht und rutschig, stülpten ihn um,
schließlich klappte er den Schirm zusammen. Er konnte den ganzen Park überblicken, ein Radfahrer mit rotem Plastikumhang fuhr
durch eine Pfütze, braunes Wasser spritzte auf, sonst niemand, die Wege und Bänke menschenleer. Er würde nicht suchen, er
würde nur ein Stück die Liebknechtstraße entlanggehen. Die Böen drückten Regen in den Wollstoff seines Mantels, in seinen
bloßen Nacken, in sein Gesicht. Regen tropfte vom Schirm seiner Mütze, er musste immer wieder die Augen zukneifen. Er versuchte,
sein Gesicht mit dem Mantelärmel abzuwischen, der Ärmel war mit winzigen Tröpfchen übersät, Wasser lief seine Schläfen entlang,
die Wangen hinab |136| in seinen Kragen. Er blieb stehen. Drehte sich einmal um die eigene Achse.
Sie stand still, inmitten sich drängender Menschen auf der anderen Straßenseite, inmitten des Regens und der Windböen stand
sie still. Stand am Rand des Bürgersteigs, eine Hand auf den hellgrauen Stromkasten gelegt, die andere hing herab. Sie sah
ihn an. Rührte sich nicht, als er vorsichtig die Hand hob, drehte sich nicht um, verschwand nicht eilig. Hob nicht die Hand
zum Gruß und nickte nicht mit dem Kopf.
Etwas Rotes nahm ihm die Sicht. Der 100er Bus klappte seine Türen auseinander, er stand an einer Haltestelle, Ein- und Aussteigende
schoben sich ineinander, stießen an seine Schultern, berührten seine Arme, versperrten ihm die Sicht, er versuchte, zwischen
ihnen eine Lücke zu finden, durch die er die andere Straßenseite sehen konnte.
Jana Potulski war noch da, sah ihn an und lächelte nicht. Sah ihn an, als würde sie warten, dass er die Straße überquerte
und zu ihr käme. Er schüttelte den Kopf, schüttelte übertrieben stark den Kopf, damit sie es auch sah. Nein. Er würde nicht
zu ihr kommen, würde nicht am Kantstein warten, bis der Verkehr nachließ, um dann schnell zu sein und die Fahrbahn hinabzuspähen,
ob nicht doch ein Auto kam. Während sie jede seiner Bewegungen beobachtete, reglos gegen den Kasten gelehnt. Sein Gesicht
musterte, nachsah, ob er Angst hatte. Schwach war. Nein.
|137| Er schüttelte erneut den Kopf. Als sie sich nicht bewegte, drehte er sich um, drehte ihr den Rücken zu, damit sie verstand.
Auf der Grünfläche neben der Kirche hockte ein Hund und kackte angestrengt. Den Besitzer konnte er nicht entdecken, angeekelt
drehte er sich wieder um, wollte nachsehen, was sie tat. Sie war weg. Der Stromkasten war da, hellgrau und mit Plakatresten
beklebt, die Stelle daneben, auf der sie eben noch
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