Silberfischchen
trockene Hose an, trockene Socken, seine Füße
waren wieder ganz weiß, als fehle das Blut in ihnen.
Im Kühlschrank fand er einen Topf, einen Topf mit Deckel, Kondenswasser perlte an ihm herab, als er ihn herausnahm. Es war
die restliche Kartoffelsuppe, sie roch gut, sein Magen zog sich begehrlich zusammen. Er nahm den Topf und trug ihn ins Bad,
schüttete die Suppe in die Toilette, sah zu, wie sie sich mit dem Spülwasser vermischte.
Er würde sie nicht suchen, er ging in den Flur und holte die Fototasche, er würde die Bilder entwickeln, stellte die Tasche
auf den Küchentisch, klappte sie auf und nahm die Brote heraus. Jana Potulski war sicher hungrig, Jana Potulski war weggelaufen,
er würde die |125| Brote alleine essen. Vorsichtig holte er die Ausrüstung aus der Tasche, Tee war auch noch da.
Er war nicht sicher, ob er in der Dunkelkammer die Türklingel hören würde. Sie hing über der Haustür, er müsste die Leiter
holen, und ob sich die Klingel lauter stellen ließ, wusste er nicht. Er dachte an den harten Dielenboden, die braunpudrige
Wolke, ihren stummen Blick, als sie es aufgewischt hatte. Sollte sie doch warten, sie war weggelaufen. Er schloss die Dunkelkammertür
so heftig, dass sie wieder aufschwang, »Scheiße«, brüllte er. Er würde nicht zum Pfarrgarten fahren und nachsehen, ob sie
dort stand und wartete. Er würde nicht feststellen, ob der Bürgersteig leer war, ob der Saft noch dort war, auf dem fleckigen
Schnee im orangenen Licht der Laternen.
Er entwickelte die Bilder, nach einer Weile hörten seine Hände auf zu zittern. Eine Zwölferserie hatte er gemacht, der restliche
Film war leer, das kümmerte ihn nicht.
Kurz vor vier kam die Müllabfuhr. Er hörte die Klingeln in den leeren Wohnungen schrillen, hörte den Ton näher kommen, sich
stockwerkweise herantasten. Er wusste, es war die Müllabfuhr, sie kam am Nachmittag, die Post vormittags, einmal die Woche
klingelte jemand und wischte den Hausflur. Er erschrak trotzdem, als der Kasten neben seiner Tür losschrillte, zuckte zusammen
wie ein Tier, eine Nadel fuhr zwischen seine Rippen. Er fragte, wer da sei, in die Gegensprechanlage, seine Stimme atemlos,
als sei er gerannt. »Müllabfuhr«, |126| antwortete ein Mann. Er war enttäuscht, rührte sich nicht, seine Finger berührten den Knopf des Summers, drückten ihn nicht
herab, es klingelte erneut. Er wandte sich ab, drückte nicht den Summer, lauschte dem Sichentfernen des Klingelns.
Er nahm den Berliner Dom von der Leine, öffnete vorsichtig die Klammern, drückte die Enden sorgsam zusammen. Er holte den
Bleistift aus der Dunkelkammer, hatte sich angewöhnt, das Datum der Aufnahme auf der Rückseite zu notieren. Er zögerte, stützte
die Hand mit dem Stift auf der Tischplatte auf, musste nachrechnen, die Regenfotos hatte er vorher gemacht, danach war er
nach Frankfurt/Oder gefahren. Er sah zum Kalender, Almhütte mit rosa Blüten, das half nicht, er war nicht sicher, welcher
Tag heute war. Er warf den Stift auf die Arbeitsplatte, die Spitze brach ab, er schob die Fotos zu einem Stapel zusammen,
kümmerte sich nicht um Kratzer, legte den Stapel auf die Fensterbank, das Papier würde sich wellen, Kälte und Feuchtigkeit,
auch das kümmerte ihn nicht. Er ging den Pfarrgarten holen, klemmte ein Bild nach dem anderen an die Wäscheleine. Eine Aufnahme,
die er ganz am Anfang probehalber gemacht hatte, hatte einen unregelmäßigen dunklen Streifen am oberen Rand. Der Schirm. Er
berührte ihn mit dem Finger, strich über die noch klebrige Oberfläche, die Rillen seiner Fingerkuppe zeichneten sich auf dem
Dunklen ab. Das machte nichts, er würde das Bild wegwerfen, es war Unsinn gewesen, es überhaupt zum Trocknen aufzuhängen.
|127| Als er fertig war, nahm er den Kalender von der Wand. Das Papier war dünn, leistete wenig Widerstand, er hätte es sich anstrengender
vorgestellt, er war enttäuscht, sah zu, wie seine Hände die Almhütte zerrissen, die rosa Blüten rechts und links. Die Schnipsel
warf er in den Mülleimer, die untere Hälfte, den eigentlichen Kalender, ließ er ganz, legte ihn zur Ausrüstung auf den Tisch.
Er zog einen der Stühle zum Küchenfenster, das Licht ließ er aus, sonst spiegelte die Scheibe. Er konnte die ganze Straße
überblicken, sie kam nicht. Er verschränkte die Arme auf dem Fensterbrett, hätte gern seinen Kopf auf die Arme gelegt, die
Augen geschlossen. Seine Augen waren trocken
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