Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
Vom Netzwerk:
ist die Geschichte der Kolonie der Silberflügel“, erklärte Frieda. „Genau das hier. Jedes Jahr wird eine von den Ältesten ernannt, die Geschichten des Jahres in die Wände zu singen, und da bleiben sie dann.“
    „Wie kann man sie auseinander halten?“, wollte Schatten wissen, als seine Ohren von einem Klangrinnsal zum nächsten sprangen. Sein Kopf war ganz verstopft und verwirrt.
    „Man braucht eine gewisse Begabung“, sagte Frieda. „Konzentration. Geduld. Wenigen gelingt es, aber ich habe so ein Gefühl, dass du … hier, lass mich dir helfen.“ Schatten beobachtete die alte Fledermaus, wie sich ihre Ohren hin- und herdrehten, die Augen umhersprangen, als suchten sie nach einem Insekt. „Ja, hier ist sie, die älteste Geschichte von allen … Fang sie jetzt ein … konzentriere dich …“
    Schatten legte den Kopf an Friedas, seine Augen waren geschlossen, die Ohren hoch aufgestellt, und plötzlich war eine Stimme in seinem Kopf, so deutlich, so sehr ein Teil seiner selbst, dass er zurückzuckte und die Ohren flach anlegte, um der Stimme zu entkommen.
    „Es ist ein komisches Gefühl, nicht wahr?“, sagte Frieda.
    „Es dringt direkt in einen hinein“, sagte er hilflos.
    „Das ist in Ordnung. Versuch es noch einmal.“
    Er verkrampfte sich, als der Klang in ihn hineinfloss, aber dieses Mal hielt er durch.
    „Vor langer Zeit“, sagte die Stimme, „vor Abermillionen von Jahren war die Welt ein leerer Ort.“ Es war eine weibliche Stimme, fest und klangvoll, und er hatte ein ganz komisches Gefühl bei dem Gedanken, dass sie diese Worte vor so langer Zeit gesprochen hatte und er sie jetzt hören konnte wie beim ersten Mal. Mit fest geschlossenen Augen hörte er angestrengt zu.
    „Es gab nur Nocturna, den Geflügelten Geist, deren Schwingen den ganzen Nachthimmel umspannten und die der Nachthimmel waren mit den Sternen und dem Mond und dem Wind. Nocturna formte Geschöpfe, eines nach dem anderen …“
    Die Worte verklangen und ohne vorherige Ankündigung füllte sich sein Inneres mit Bildern. Eine strahlend silberne Welt leuchtete vor ihm auf, so klar wie sein eigenes Klangecho während der Nacht.
    Überrascht schlug er die Augen auf.
    „Was ist passiert?“
    „Echobilder“, erklärte ihm die Älteste geduldig. „Wir können Echos sehen und mit etwas Übung kann man auch anderen Fledermäusen Echobilder in die Köpfe singen.“
    „Es ist so wirklich!“
    „Hör zu. Du wirst es verlieren, wenn du nicht aufpasst.“
    Er schloss wieder die Augen, atmete langsam aus und ließ wieder die silberne Welt sein Inneres ausfüllen.
    Der Anfang der Welt – und er war dort, um alles zu sehen.
    Er flog hoch an tausend verschiedenen Vögeln vorbei, er schwebte niedrig über tausend verschiedene Tiere am Boden hinweg. Die Erde dampfte. Fast konnte er fühlen, wie heiß, wie neu alles war.
    Er sah Fledermäuse sich von Bäumen emporschwingen und flügelschlagend durch die Luft fliegen.
    Und alles war in volles Tageslicht getaucht.
    Die Sonne brannte hoch am Himmel.
    „Damals durften wir das“, murmelte er ungläubig. „Wir durften die Sonne sehen!“
    Plötzlich wechselte die Szene: Er befand sich auf dem Wipfel eines riesigen Baumes und überall um ihn herum wütete eine Schlacht. Vögel stürzten sich auf Bären hinab, kämpften mit Klauen und Schnäbeln, trugen ihre kleineren Opfer hoch und stürzten sie zu Tode. Aber die Vierfüßler wehrten sich, sprangen hoch und schnappten mit ihren Kiefern nach den Vögeln, zerschmetterten sie mit Krallen und Klauen. Sie kletterten auf die Bäume, zerstörten Nester und stürzten sich auf Vögel, die auf den Zweigen saßen.
    Schatten blickte entsetzt nach unten und sah, wie eine Wildkatze seinen eigenen Baum hoch auf ihn zukroch, und er schrie erschrocken auf.
    Aber im gleichen Augenblick war er plötzlich höher in der Luft und überblickte das Geschehen aus großer, sicherer Entfernung.
    „Ein Krieg!“, rief Schatten Frieda aufgeregt zu und beobachtete weiter mit geschlossenen Augen.
    „Die große Schlacht zwischen Vögeln und Vierfüßlern“, hörte er Frieda sagen.
    „Aber warum?“
    „Niemand weiß, wie es anfing.“
    Etwas fiel ihm auf. „Wo sind die Fledermäuse?“
    „Wir haben uns geweigert mitzukämpfen. Beide Seiten haben uns aufgefordert ihnen zu helfen, aber wir haben Nein gesagt.“
    Die silbrigen Bilder in seinem Kopf verschoben sich wieder und er flog über einen zerstörten Wald. Die Bäume waren nackt und zerborsten, die Erde von

Weitere Kostenlose Bücher