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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Vierfüßler schreckten entsetzt zusammen. Die Vögel kreischten und flohen in den Schutz der Bäume.
    Die Sonne verschwand.
    Genau genommen verschwand sie nicht, aber Schatten hatte den Eindruck, dass sich vor ihr ein gewaltiges schwarzes Auge geöffnet hatte, Nocturnas Auge. Das war der erste Gedanke, der ihm in den Sinn kam. Nur der Rand der Sonne blieb sichtbar. Und Schatten starrte ihn an.
    Dieser glühende Ring silbrigen Lichts.
    So hell, dass ihm sogar noch von seinem Bild im Kopf die Augen schmerzten.
    Auf einmal strömten Fledermäuse von ihren Rastplätzen herbei und er mittendrin, Flügel über Flügel taumelten durcheinander.
    Sie sammelten sich wie ein Knoten am Himmel, flogen wieder auseinander, kreisten unter diesem silbernen Ring.
    Zum ersten Mal in tausend Jahren waren sie während des Tages draußen.
    Der dunkle Himmel begann zu sprechen, und Schatten fühlte, wie jeder Zentimeter seines Körpers bebte. Er wusste ohne jeden Zweifel, dass dies Nocturnas Stimme war, die vor langer Zeit zu den Fledermäusen gesprochen hatte.
    „Eines Tages wird eure Verbannung ein Ende finden und das grausame Gesetz wird zerbrochen. Ihr werdet nicht länger die Klauen der Eulen und die Kiefer der Vierfüßler fürchten müssen. Und ihr werdet frei sein ans Tageslicht zurückzukehren.“
    Langsam verblasste am Himmel der silberne Ring und dann füllte schwarzes Schweigen Schattens Kopf.
    Das Echo begann sich zu wiederholen, Schatten schüttelte es ab und wandte sich eifrig an Frieda.
    „Wird es einen zweiten Krieg geben? Soll es das heißen?“
    „Vielleicht. Ich weiß es nicht.“
    „Wann? Wann wird das sein?“
    Die Fledermausälteste schüttelte den Kopf. „Vielleicht nicht mehr zu meinen Lebzeiten oder selbst zu deinen.“ Sie machte eine Pause. „Aber ich glaube, es wird früher sein.“
    „Warum?“, fragte Schatten erstaunt.
    „Darum!“, antwortete Frieda, entfaltete ihren Flügel und zeigte ihm den silbernen Ring an ihrem Unterarm. Schatten schnappte nach Luft, als sähe er ihn zum ersten Mal.
    Er erinnerte sich an das Bild aus der Echogeschichte, an die Sonne, die von Nocturnas schwarzem Auge verdeckt wurde, sodass sie nur noch ein flammender Ring von Licht war. Ein Ring aus Silber. Ganz wie der Ring an Friedas Unterarm.
    „Du siehst ihn, nicht wahr?“, fragte Frieda.
    Er nickte. „Wie hast du ihn bekommen?“
    „Die Menschen haben ihn mir gegeben, als ich jung war. Nicht viel älter als du, genau genommen. Ein paar von uns sind einmal nachts im Wald gewesen. Die Menschen haben uns gefangen, die Ringe an den Armen befestigt und uns dann wieder freigelassen. Ich glaube, es ist ein Zeichen, Schatten. Ein Zeichen, dass das Große Versprechen kommt. Ich weiß nicht, welche Rolle die Menschen dabei spielen werden, aber ich glaube, sie sind gekommen, um uns irgendwie zu helfen.“
    Schatten ließ einen zarten Klangschwall über den Ring streichen und bemerkte die menschlichen Markierungen an seinem Rand. Er konnte sich nur wundern über deren merkwürdige runde und scharfkantige Formen. Er hatte einmal die Kritzeleien von Eulen, ein anderes Mal die Hieroglyphen von Waschbären gesehen, aber diese Zeichen waren bei weitem die kompliziertesten von allen.
    „Darf ich?“, fragte er.
    „Ja, natürlich“, antwortete Frieda und streckte ihren Unterarm aus.
    Schatten berührte den Ring mit der Spitze seiner Kralle.
    „Haben die Menschen sonst noch jemandem Ringe gegeben?“
    „Lange Zeit nicht – so lange, dass ich schon daran zu zweifeln begann, ob sie überhaupt etwas bedeuten. Aber vor zwei Wintern, ja, da sind sie wieder gekommen und haben ein paar Männchen beringt.“
    „Meinen Vater“, sagte Schatten instinktiv.
    „Ariel hat es dir erzählt, oder?“
    „Nein. Sie redet nicht viel über ihn.“
    Frieda nickte. „Früher haben wir den Jungen immer diese Geschichten erzählt, die du gerade gehört hast. Das war vor Jahren. Aber die meisten Ältesten meinten, wir sollten damit aufhören. Es hätte keinen Sinn, über das Große Versprechen nachzudenken, meinten sie, über etwas, was vielleicht niemals eintreten würde. So denkt auch Bathsheba. Sie wollten kein weiteres Blutvergießen. Etwa fünfzehn Jahre vor deiner Geburt gab es einen Aufstand, aber die Fledermäuse hatten gegen die Eulen keine Chance. Trotzdem haben sie gekämpft. Haben wir gekämpft, sollte ich sagen.“
    „Du hast gekämpft?“, fragte Schatten und betrachtete wieder die Narben an Friedas Körper.
    „Ich hatte Glück, dass

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