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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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gibt kein Kreuz auf diesem Turm. Das ist der falsche.“
    „Schatten“, sagte Marina leise. „Riechst du das?“
    Jetzt erst bemerkte er den starken, unangenehmen Geruch, der aus dem Fenster kam. Gefieder blitzte auf, ein gewaltiger Kopf stieß zwischen den zerbrochenen Latten hervor und ein Schnabel schloss sich um seinen Unterarm. Entsetzt starrte er auf das blitzende Auge, zu schockiert um Schmerz zu empfinden. Als Nächstes nahm er wahr, wie er von seinem Ruheplatz gerissen und durch das Fenster in den Turm gezerrt wurde.
    Von Flügelschlägen getroffen wurde er grob durch die Luft gezogen. Nur undeutlich konnte er sehen und hören: Fenster, die Körper weiterer Vögel, eine Art, die er noch nie gesehen hatte – um ihn drehte sich alles, als er immer tiefer hinabgerissen wurde, sein Unterarm eingeklemmt im Schnabel des Vogels.
    „Wir haben zwei von ihnen erwischt!“, schrie ein Vogel. „Aufwachen! Aufwachen!“
    Schließlich wurde er auf den Boden geschleudert und losgelassen, und dann kam neben ihm Marina herabgeplumpst und stöhnte auf. Sie waren in einer Art Grube, die mit klebrigem Vogelkot bedeckt war. Es stank so fürchterlich, dass er sich fast übergeben musste. Die beiden Vögel, die sie gefangen hatten, zogen nun ein Stück Dachpappe vor die Öffnung: Sie waren gefangen.
    „Weckt den Hauptmann auf!“, ertönte eine andere Stimme von oben.
    „Tauben“, hauchte Marina.
    „Du hast sie schon mal gesehen?“
    Sie nickte. „Sie beherrschen den Himmel über den Städten. Sie sind überall.“
    „Aber … warum haben sie nicht geschlafen?“
    Sie schüttelte ratlos den Kopf. „Es ist, als ob sie auf uns gewartet hätten …“
    „Sie können das nicht machen. Wir haben nichts getan. Die Nacht gehört uns.“
    „Irgendwie, glaube ich, kümmern sie sich darum nicht. Wir sind auf einen Kontrollposten gestoßen. Pech für uns.“
    Die Grube war nicht sehr groß. Zwischen den Holzplanken des Bodens kam in schmalen Streifen Licht, und Schatten konnte ein rhythmisches Ticken hören, das ebenfalls von unten kam. Er wusste, dass das Licht von dem merkwürdigen hellen Kreis an dem Turm stammte.
    Er flatterte zur Dachpappe hoch und drückte leicht dagegen. Sie bewegte sich nicht. Die Tauben standen direkt darauf und er konnte die Spitzen ihrer Krallen sehen, die sich durchdrückten. Hier würden sie nie rauskommen.
    „Was wollen sie von uns?“, flüsterte er, als er zu Marina zurückgekehrt war.
    Plötzlich wurde die Dachpappe weggezogen und die Köpfe zweier Taubenwächter stießen herab und packten sie. Sie wurden aus der Grube gehoben und auf den Boden fallen gelassen. Er duckte sich nahe bei Marina und nahm eilig die Umgebung auf.
    Sie befanden sich im unteren Teil des Turmhelms. Über ihnen liefen Holzbalken kreuz und quer wie ein gigantisches Spinnennetz. Darauf saßen dutzende von Vögeln, grummelten ärgerlich und lärmten zornig mit den Flügeln.
    „Mehr Licht!“, brüllte einer der Wächter.
    Schatten sah, wie zwei Tauben auf der anderen Seite des Bodens an einer weiteren Dachpappe zerrten, und plötzlich ergoss sich ein blendender Lichtkegel in den Turmhelm hinauf. Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, horchte auf das beängstigende Gewühl, suchte nach Auswegen.
    Selbst wenn sie schnell genug auffliegen könnten, müssten sie zwischen all den Balken hindurchwedeln. Und an den vielen Vögeln vorbeikommen. Schatten konnte hören, wie Tauben mit flatternden Flügeln und schnappenden Schnäbeln die Fenster versperrten. Sie waren nicht so groß wie Eulen, aber sie waren immer noch um ein Mehrfaches größer als er, hatten breite Brustkörbe und muskulöse Flügel – und diese Augen, diese gespenstisch funkelnden Augen.
    Oben war jetzt jeder Balken von Vögeln besetzt, die böse auf sie herabblickten. Der ganze Turmhelm vibrierte von ihrem tiefen, bedrohlichen Grummeln – koorrr, koorrr, koorrr –, von dem Schattens Ohren zuckten.
    Dann teilte sich auf einem niedrigen Balken respektvoll die Reihe der Vögel, als eine große Taube mit vorgereckter Brust und hoch erhobenem Kopf erschien. Eine bedrohlich vortretende Narbe zog sich von ihrem Gesicht die Kehle entlang.
    „Dein Bericht, Feldwebel!“
    „Jawohl, Herr Hauptmann!“, sagte die Taube in Schattens Nähe mit einem schneidigen Ruck des Kopfes. „Wir haben diese beiden Fledermäuse gleich außerhalb des Turms gefangen genommen.“
    „Gut gemacht, Feldwebel.“ Der Hauptmann blickte grimmig auf Schatten und Marina herab. „Sind

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