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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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aus sah er, wie der Mann sich der unsichtbaren Wand näherte und eine verborgene Tür öffnete. Nacht für Nacht hatte Goth ihn dabei beobachtet. Zuerst hatte er gedacht, vielleicht wäre das sein Weg hinaus. Als er sicher war, dass er allein war, hatte er die Umrisse dieser Tür, dünn wie ein Schnurrhaar, entdeckt und sich viele Male bemüht, sie selbst zu öffnen, hatte mit dem Kopf dagegengeschlagen und versucht mit seinen scharfen Krallen in die harte, glatte Oberfläche einzudringen. Aber es war aussichtslos.
    Dann hatte er eines Nachts einen kühlen Luftstrom bemerkt, der durch den Dschungel wehte. Kreisend hatte er dessen Herkunft gefunden. In der schwarzen Decke befand sich ein Metallgitter, durch das er den Luftzug hereinströmen fühlte. Verzweifelt hatte er versucht, sich durch einen der Schlitze zu quetschen, aber er war zu groß, sogar wenn er die Flügel eng an den Körper presste. Er würde das ganze Gitter bewegen müssen. Und das ginge viel schneller, wenn er Hilfe hätte.
    „Willst du hier raus?“, hatte er die andere Fledermaus gefragt.
    „Natürlich“, hatte Throbb müde geantwortet. „Aber wie?“
    „Arbeite mit mir zusammen, und du wirst bald wieder in Freiheit und im Dschungel sein.“
    So flogen die zwei Fledermäuse Nacht für Nacht, wenn die Menschen gegangen waren, zu dem Gitter und brachen mit Klauen und Zähnen kleine Stückchen Zement und Gips an den Rändern heraus. Jede Nacht wurde das Gitter ein wenig loser.
    Jetzt schaute er zu, wie der Mann ein Dutzend weiße Mäuse auf den Boden kippte. Er schloss die Tür, setzte sich hinter der unsichtbaren Wand hin und beobachtete. Goth starrte zurück und hasste ihn. Warum ging er nicht weg? Musste er alles beobachten?
    Throbb hatte sich schon auf die Mäuse gestürzt und versuchte verzweifelt so viele, wie er konnte, zu fressen, bevor Goth auftauchte. Der hatte keinen Appetit, wusste aber, er würde diese Nacht seine ganze Kraft brauchen. Er fraß schnell, manchmal brach er den Mäusen mit einem heftigen Hieb seiner Kiefer das Genick, manchmal verschluckte er sie so, dass er spürte, wie sie ihm die Kehle hinunterkrabbelten.
    „Kehr zu deinem Schlafplatz zurück und tu so, als ob du schläfst“, zischte er Throbb zu.
    Er selbst hing mit dem Kopf nach unten und hatte nur ein Auge einen schmalen Schlitz weit offen. Das Warten war eine Qual. Er bemühte sich, an die bevorstehende Freiheit zu denken. Er würde in den Dschungel zurückfliegen und sich wieder seiner Familie anschließen. Er würde ein großer Held sein, einer der aus dem Gefängnis der Menschen entkommen war!
    Endlich stand der Mann auf und ging weg. Hinter der unsichtbaren Wand wurde es dunkel. Goth hob ab von seinem Ruheplatz.
    „Jetzt!“
    Beide flogen zur Decke und packten das Gitter mit den Klauen. Alle Kraft spannten sie an, um es wegzuziehen, aber noch hielt es fest.
    „Benutz deine Flügel!“, knurrte Goth.
    Sie entfalteten die Flügel, schlugen heftig und zerrten von der Decke weg. Staub rieselte auf Goths Fell herunter.
    „Fester!“, brüllte er Throbb an. „Fester, wenn dir deine Freiheit lieb ist!“
    Wieder zerrten sie und Goth fühlte, wie das Gitter mit einem Schauer von Schutt nachgab. Es war schwerer, als er erwartet hatte, und seine Flügel knickten ein. Er und Throbb warfen sich zurück, das Gitter auf ihnen. Throbb wand sich darunter heraus und glitt zur Seite, aber Goths Krallen waren noch in den metallenen Schlitzen gefangen.
    „Zotz!“, brüllte er. Und plötzlich rissen sich seine Krallen los und er schnellte zur Seite weg. Das Gitter prallte auf die feuchte Erde.
    Goth klammerte sich an eine Kletterpflanze und wartete, dass sich sein Herzschlag beruhigte. Zotz hatte ihn gerettet.
    „Geht’s?“, hörte er Throbb rufen.
    „Du warst keine große Hilfe.“
    Aber er hatte es viel zu eilig, um Zeit mit dem Verprügeln von Throbb zu verschwenden. Er flog zu dem Loch, klammerte sich an die Kante und steckte den Kopf hinauf. Eine kühle Brise wehte über sein glattes Fell. Er ließ sein Klang-Sehen ertönen, und das zurückgeworfene Echo malte ihm im Kopf ein Bild.
    Es war ein Schacht aus Metall, der senkrecht nach oben führte. Er war zu schmal, um darin auch nur die Flügel ausbreiten zu können. Und die Wände zu glatt für ihre Krallen.
    „Wir müssen senkrecht nach oben fliegen.“
    Throbb winselte voller Zweifel.
    „Bleib hier, wenn du willst“, sagte Goth und knickte die Flügelspitzen ein. Die Belastung seiner Knochen war gewaltig, als

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