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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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war nie so kalt. Sein Hass auf die Menschen verdoppelte sich. Wo hatten sie ihn hingebracht? Voller Panik blickte er hoch zu den Sternen.
    Er erkannte keinen einzigen.
    Sie waren alle anders.
    Und wo war der Mond? In Spiralen kletterte er höher, in der Hoffnung, er könne den Dschungel am Horizont erkennen. Aber die Lichter erstreckten sich endlos weit. Er konnte noch nicht einmal den Dämmerschein der Sonne sehen. Der hätte ihm wenigstens eine grobe Orientierung ermöglicht.
    Vielleicht, dachte er in Panik, gab es hier keine Sonne, kein West oder Ost, kein Nord oder Süd.
    „Wo sind wir?“, jammerte Throbb, der neben ihm flatterte.
    Ganz unerwartet tauchte der Mond hinter einer Wolkenbank auf und Goth war erleichtert. Der Mond war etwas, das er erkannte, mit all seinen Erhebungen und Falten.
    „Die Menschen müssen uns aus dem Dschungel fortgebracht haben“, erklärte er Throbb. „Sie haben uns nach Norden geschafft.“ Er hatte Geschichten gehört, fürchterliche Geschichten.
    „Es ist so kalt. Lass uns wieder reingehen“, sagte Throbb.
    „Was?“, zischte Goth verächtlich. „In unser Gefängnis?“
    „Es ist wenigstens warm.“
    „Nein, ich kehre in den Dschungel zurück.“
    „Aber wer weiß, wie weit das ist?“
    Goth schaute Throbb voller Verachtung an. Ursprünglich hatte er geplant, ihn nach der Flucht aufzufressen. Eine kleine Siegesfeier. Nun aber, in dieser fremden Umgebung, hielt er es nicht für klug, Throbb gleich umzubringen. Er war in einem fremden Land und er war sich seiner nicht ganz sicher. Vielleicht würde er noch einmal Hilfe brauchen.
    „Wir finden einen Weg zurück“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Und wir werden hinkommen, einen Flügelschlag nach dem anderen.“
    „Wir werden erfrieren.“
    „Halt den Mund!“, kläffte Goth.
    Er fror und er brauchte mehr Nahrung. Nahrung, um sich warm zu halten.
    Er warf sein kräftiges Klangauge über die Erhebungen der Stadt. Das Echo brachte ihm ein Bild von Vögeln, die an einem viereckigen Turm auf einem Sims rasteten.
    Tauben. An denen war genug Fleisch.
    Er ließ die Krallen spielen und stürzte sich hinab.

– 9 –
Die Tauben
    Schatten und Marina flogen über der Stadt und waren verwirrt. Ein endloses Gitterwerk aus Licht erstreckte sich in alle Richtungen bis zum Horizont und schlug sie in seinen Bann. Geräusche von Maschinen drangen von unten herauf – metallisches Kreischen und Knirschen und ein durchdringendes Pochen, das schon Teil der Luft zu sein schien. Für einen Schwindel erregenden Augenblick konnte Schatten sich beinahe vorstellen, die Lichter der Menschen wären wirklich Sterne und er flöge auf dem Rücken.
    Er war erschöpft. Sie hatten nicht viel gegessen, seit sie in die Stadt gekommen waren. Es gab hier weniger Insekten und die, die er gefangen hatte, schmeckten scheußlich, fremdartig und nach Ruß. Er wollte nur den Orientierungspunkt finden, seinen Kurs ausrichten und dann verschwinden.
    Sie überquerten gerade ein schwarzes Hafenbecken. Vor ihnen, auf dem gegenüberliegenden Ufer, stand ein viereckiger Turm aus Stein und ragte hoch in den Himmel. Er war nicht wie der Leuchtturm. Dieser Turm hatte viel mehr Zierrat, Simse und Ornamente, und zahlreiche Fenster, einige hell, andere dunkel. Auf einer Seite befand sich nahe an der Spitze ein gewaltiger weißer Kreis, größer als der Mond und auch heller. Am inneren Rand des Kreises waren schwarze Zeichen angebracht, und Schatten konnte ein regelmäßiges Ticken hören, das hinter dem flachen runden Gesicht hervorkam. Die Spitze bildete ein steiler Turmhelm mit Reihen von Giebelfenstern an den Seiten.
    „Ist er das?“, fragte Marina ungeduldig.
    Schatten rief sich die Karte seiner Mutter ins Gedächtnis und versuchte Übereinstimmungen zu finden. Ein Turm, ein Turmhelm mit hoher Spitze – es schien zu passen …
    Aus dem Turminneren ertönte ein gewaltiger, nachhallender, dröhnender Schlag und ließ Schatten und Marina zusammenzucken. BONG! Dann noch einmal: BONG! Und noch einmal: BONG! Dann Stille.
    „Das Geräusch von der Karte“, sagte Schatten aufgeregt. „Dies muss der richtige Ort sein!“
    Sie segelten auf den Turm zu und landeten auf ein paar Holzlatten, die kreuz und quer vor ein Giebelfenster genagelt waren. Da hing Schatten erst einmal kopfüber und betrachtete stirnrunzelnd die scharfe Silhouette des Turmhelms gegen den Nachthimmel.
    „Nein“, sagte er, „da fehlt etwas.“ Und dann fiel es ihm ein: „Das Metallkreuz. Es

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