Silberflügel: Roman (German Edition)
zu den beiden Kannibalen hoch. Sie hatten anscheinend nichts bemerkt. Goth putzte sich und machte sich fertig für die Jagd.
Schatten verließ den Busch und fuhr mit der Nahrungssuche fort.
Goth brachte eine Fledermaus mit in die Höhle und zerriss sie hungrig. Schatten sah, dass es ein Glanzflügel war, und der Magen drehte sich ihm um. Marina starrte die beiden Kannibalen mit funkelnden Augen an.
„Sei dankbar, dass ich diesen Einzelgänger gefunden habe“, sagte Goth zu ihr, „sonst hätte ich jetzt vielleicht dich gefressen.“
Schatten holte langsam tief Luft. „Ich möchte auch was.“
Goth und Throbb schauten zu ihm hin.
„Oho!“, krähte Goth. „Der Kleine hat tatsächlich Appetit auf Fleisch bekommen.“
„Heute Nacht ist nicht genug für ihn da“, sagte Throbb. „Soll er doch sein eigenes Fleisch fangen.“
„Sei nicht so geizig, Throbb“, sagte Goth. „Wir haben einen Konvertiten zu Zotz unter uns.“
Aus den Augenwinkeln sah Schatten, wie Marina ihn ungläubig anstarrte.
„Bitte sehr, bediene dich“, sagte Goth.
Langsam kroch Schatten zu dem Kadaver hin und zwang sich dazu, nicht im letzten Augenblick den Mut zu verlieren. Als er sich über die halb verzehrte Fledermaus beugte, wandte er Goth und Throbb den Rücken zu. Sie sollten nicht sein Gesicht sehen.
Die letzten Minuten hatte er das Blatt gekaut, so langsam, dass keiner es bemerkt hatte. Er war äußerst vorsichtig gewesen. Nicht einen einzigen Tropfen hatte er hinuntergeschluckt. Er hielt alles in einer Backentasche, zermalen und mit Speichel zu einer klaren Flüssigkeit vermischt.
Als er sich nun über den Körper der Fledermaus beugte, tat er so, als ob er äße und senkte die Zähne hinein. Aber er aß nicht, er ließ nur geräuschlos den Saft des Blattes auf den Leichnam tropfen. Hier ein bisschen, dort ein bisschen. Er hatte Glück, dass die Flüssigkeit geruchlos war und auch fast geschmacklos – nichts, was die beiden Kannibalen alarmieren konnte.
„Er isst kaum etwas!“, jammerte Throbb und torkelte näher heran, um zu sehen, was Schatten machte.
Schnell schloss Schatten den Mund.
„Iss!“, knurrte Goth und schlug mit einem ausgestreckten Flügel nach ihm. „Du hast gesagt, du willst essen. Also iss!“
Schatten hatte noch ein wenig von dem Trank im Mund. Er kam jetzt nicht drum herum. Er musste etwas von der Fledermaus essen. Sein Magen drehte sich um, als er sich hinabbeugte und einen zaghaften Bissen nahm und dabei gleichzeitg den Rest der Flüssigkeit aus dem Mund fließen ließ.
Vom Geschmack des Fleisches traten ihm Tränen in die Augen. Er versuchte es nicht mit der Zunge zu berühren oder zu lange im Mund zu behalten. Er schluckte, verschluckte sich beinahe, war entsetzt und schämte sich furchtbar. Er hatte das Gefühl, etwas unaussprechlich Böses getan zu haben. Er konnte nicht verhindern, dass ihm jetzt die Tränen über die Nase und das Fell liefen.
„Du wirst dich daran gewöhnen“, sagte Goth. „Bald wirst du so weit sein, dass du es kaum erwarten kannst wieder zu töten.“
Throbb schubste Schatten grob zur Seite und begann wieder von dem toten Tier zu fressen. Schatten kroch langsam zu Marina zurück, aber sie rückte von ihm ab und starrte ihn nur mit blankem Hass im Blick an.
„Verräter“, sagte sie und drehte ihm den Rücken zu. „Ich wünschte, ich hätte dich nie getroffen.“
Außerhalb der Höhle brannte die Sonne.
Versuchsweise bewegte sich Schatten gerade so viel, um zu sehen, ob Goth es bemerkte. Der schwere Atem des Kannibalen ging ungestört weiter. Langsam streckte Schatten die Schultern unter Goths Flügel hervor. Dann die Brust, die eigenen Flügel, die er so eng wie möglich an den Körper presste. Er war halbwegs draußen, als Goth zuckte. Sein breiter Flügel zog sich zusammen und drückte Schatten näher an seinen übel riechenden, feuchten Körper.
Schatten machte sich ganz schlaff und wartete ängstlich ein paar Augenblicke. Aber Goth wachte nicht auf. Er knirschte im Schlaf mit den Zähnen, aus dem offenen Maul tropfte ein Speichelfaden. Voller Abscheu schaute Schatten weg und fing wieder damit an, sich langsam vorwärts zu schieben. Fast war er so weit, beinahe schon, nur noch der Schwanz und die Beine mussten freikommen.
Einer seiner Flügel schlug gegen Goths Unterarm, sodass zwei von den Metallringen aneinander schepperten. Das führte zu einem hellen Klingeln.
„Schatten“, sagte Goth.
Entsetzt erstarrte Schatten, dann drehte er langsam den
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