Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
Vom Netzwerk:
Kopf. Goth hatte eins seiner Augen weit geöffnet und starrte ihn direkt an. Aber er rührte sich nicht. Sein Auge war tot, nicht fixiert.
    Er schläft immer noch, dachte Schatten.
    Sie starrten sich weiter gegenseitig an. Schatten bewegte sich nicht, er wartete, was als Nächstes passieren würde.
    „Schlaf ein“, sagte Schatten leise.
    Wie auf ein Stichwort fiel Goths Auge zu und er atmete wieder gleichmäßig.
    Schatten zog langsam die Schultern nach vorn und machte sich von Goths Flügel frei. Er kroch zu Throbb, der den hässlichen Kopf unnatürlich zur Seite gedreht hatte und so seinen Betäubungsschlaf schlief. Vorsichtig hob er eine Falte des rechten Flügels hoch und stupste Marinas Kopf zärtlich mit der Nase an.
    „Schhhhhhh“, flüsterte er, als sie sich rührte und die Augen öffnete. „Kein Geräusch.“
    Sie starrte ihn mit dem gleichen kalten Abscheu an wie letzte Nacht und er fürchtete plötzlich, sie könnte etwas sagen und ein unbedachtes Geräusch machen, das alles verdarb, worum er sich bemüht hatte.
    „Vertrau mir“, war alles, was er flüsternd sagen konnte.
    Er half ihr dabei, sich von Throbbs Flügel frei zu machen, und beide krochen geräuschlos zum Eingang der Höhle. Sie blinzelten hinaus in die Helligkeit des Tages.
    „Mach die Augen zu“, sagte er.
    Sie schlossen die Augen, breiteten die Flügel aus und flogen los.

– 22 –
Das Gewitter
    Sogar in Schattens zusammengekniffene Augen drang an den Rändern schmerzhaft ein aggressives Glühen herein und behinderte sein Klang-Sehen. Mit Marina an der Seite kreiste er schnell, um sich an den Baumwipfeln zu orientieren. Dann flog er geradeaus den Weg zurück, den sie letzte Nacht gekommen waren. Er wollte sich so weit wie möglich von Goth und Throbb entfernen, bevor diese aus ihrem Betäubungsschlaf aufwachten.
    Er war in die Sonne gegangen, ins Licht des Tages. Keine Fledermaus hatte das für Millionen von Jahren getan.
    Er konnte die Wärme auf den Flügeln spüren, auf dem Rückenfell, und sogar an diesem kalten Wintertag fühlte sich das fantastisch an. Es fühlte sich an wie ein Sieg.
    „Warum sind sie nicht aufgewacht?“, fragte Marina.
    „Ich habe sie betäubt.“
    Rasch erzählte er ihr von dem Blatt und wie er so tun musste, als ob er von der Fledermaus aß. Und dann ging er weiter zurück und erzählte ihr von seinem Plan. Wie er Goth dazu bringen wollte, ihm zu vertrauen, und ihn dann nach Westen führen wollte, weg von Hibernaculum, in der Hoffnung, die Kannibalen würden erfrieren oder so schwach werden, dass er und Marina ihnen fliegend entkommen könnten.
    „Oh, Schatten“, sagte sie leise. „Es tut mir Leid. Ich habe das nicht gewusst.“
    „Ich weiß. Ich wollte, dass es überzeugend wirkt, das ist alles.“ Er zögerte. „Du hasst mich doch nicht, oder?“ Die Blicke, die sie ihm zugeworfen hatte, waren schwer zu vergessen.
    „Natürlich hasse ich dich nicht! Du hast uns gerettet!“
    „Noch nicht.“
    Es gab keine Sterne, die ihn leiten konnten. Er hoffte, er könnte sich an ihre Route letzte Nacht erinnern. Als er da vom Fluss abgebogen war, hatte er nach Orientierungspunkten Ausschau gehalten, die er im Gedächtnis verankern konnte.
    „Wird sie uns wehtun?“, fragte sie. „Die Sonne?“
    „Hat uns jedenfalls noch nicht zu Staub verwandelt.“
    „Aber wird sie uns blind machen?“
    „Glaube ich nicht. Das sind nur Geschichten, die sie den Kleinkindern erzählen. Aber sie könnte am Anfang zu viel werden. Lass dir Zeit. Und schau nie direkt in die Sonne.“
    Während des Fluges hatte er allmählich die Augenlider gelockert, sodass sie sich Stück für Stück öffneten. Das Verlangen, die Augen aufzumachen, war größer, als er sich vorgestellt hatte. Er wünschte so sehnlichst, das Licht des Tages in seiner ganzen Pracht zu sehen.
    Er öffnete die Augen nur einen kleinen Spalt weiter und …
    Er hörte Marinas erstauntes Atemholen.
    „Siehst du’s?“, flüsterte er.
    „Ja.“
    Es war die gleiche Welt, die er sein ganzes Leben lang bei Nacht wahrgenommen hatte, aber nun war sie im Schein der Sonne wie verwandelt. Merkwürdigerweise war sie nicht so scharf und klar, wie er es sich vorgestellt hatte. Das Sonnenlicht schien einen Dunst über die Dinge zu legen, wo das Echosehen ihm immer die klarsten Bilder geliefert hatte. Aber diese neue Welt besaß eine blendende Schönheit. Alles schien von allen Seiten beleuchtet zu sein, die Bäume, die Büsche, die toten Blätter, der Schnee, sogar die

Weitere Kostenlose Bücher