Silberflügel: Roman (German Edition)
irgendwohin verschwindest. Throbb, nimm du Marina.“
Schatten rümpfte vor Abscheu die Nase, als er unter Goths Flügel kroch und der sich über ihn legte und ihn in einem Dunst von Schweiß und Fleischgeruch einhüllte. Er hörte Goths mächtiges Herz in seiner Brust schlagen und schlief mit finsteren Gedanken ein, die sich in seinem Kopf wie Gewitterwolken zusammenbrauten.
– 21 –
Verrat
„Ich möchte mit euch in den Dschungel.“
Goth schaute interessiert zu Schatten hinüber. Sie flogen nebeneinander über dem sich windenden Fluss. Das Wasser strömte nun schneller und schäumte über Felsen hinweg.
Vor ihnen flog Throbb und bewachte Marina. Sie hatte sich geweigert neben Schatten zu fliegen, hatte ihm nicht einmal ein Wort gegönnt, als sie an diesem Abend aufbrachen. Throbb, fiel ihm auf, hatte eine merkwürdige, hinkende Art zu fliegen entwickelt. Er hielt seinen verletzten Flügel zusammengefaltet, sodass er halbherzig durch die Luft schlappte.
Er sah nicht gesund aus. Sein Fell war fettig und verfilzt, die Augen tränten und er zitterte jetzt ununterbrochen, sogar während des Fluges.
„Warum“, fragte ihn Goth, „willst du in den Dschungel?“
„Ich möchte so sein wie du. Ich möchte unter Fledermäusen leben, die mächtig sind und Zotz verehren.“
Goth lachte. „Und was ist mit deiner geliebten Nocturna?“
„Sie ist machtlos, du hast Recht. Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht. Das Große Versprechen ist eine Lüge. Wir werden unser ganzes Leben in Angst vor allen anderen verbringen.“
„Und du bist bereit, deine eigene Kolonie zu verlassen?“
„Sie werden nicht viel länger existieren, nicht wahr? Ich weiß, was du vorhast. Du wirst versuchen sie zu überlisten, dass sie dir trauen. Vielleicht gelingt dir das, vielleicht nicht. Wenn es dir gelingt, wirst du sie einen nach dem anderen auffressen, den ganzen Winter lang, während sie schlafen.“ Er sagte das ganz ruhig und gefühllos. „Und ich weiß, du hast vor mich zu töten, bevor wir dort hinkommen.“
„Stimmt.“
„Mir ist egal, was du mit den anderen machst. Nur mich nimm mit in den Dschungel.“
„Dir ist es wirklich egal, wenn ich deine Kolonie auffresse?“
Er schien interessiert.
„Sie hassen mich. Sie geben mir die Schuld dafür, dass die Eulen den Baumhort niedergebrannt haben. Und sie haben mich auch vorher schon sowieso nicht gemocht. Eine Zeit lang habe ich geglaubt, ich könnte es wieder gutmachen, indem ich ihnen beim Kampf gegen die Eulen helfe. Aber sie wollen nichts mit mir zu tun haben. Warum sollte ich mir Gedanken um sie machen?“
„Nicht einmal um deine Mutter?“
Er zuckte die Achseln, sein Gesicht war hart. „Sie ist nie gekommen, um nach mir zu suchen, als ich mich verflogen hatte – sie ist einfach weitergezogen und hat mich für tot abgeschrieben. Sie dachte sich wahrscheinlich, ich mache mehr Ärger, als ich wert bin.“
Goth blickte zu Marina.
„Und sie?“
Schatten schnaubte bitter. „Sie denkt immer noch, die Menschen werden kommen, um uns zu retten. Du hast Recht, es ist lächerlich, etwas sein zu wollen, was man nicht ist. Sie glaubt nur, ich sei schwach und scharf auf Macht.“
„Bist du das nicht?“
„Doch.“ Er schaute Goth direkt in die Augen. „Ich bin scharf darauf. Mein ganzes Leben lang bin ich ein Knirps gewesen und ich möchte größer und stärker werden. Ich möchte, dass du mir zeigst, wie man jagt und kämpft.“
Nachdenklich blickte Goth zum Horizont.
„Ich trau dir nicht, Schatten.“
„Du musst.“
Goth zuckte zusammen. In seinen Augen spiegelte sich Überraschung. „Das glaube ich nicht. Ich könnte dich sofort umbringen.“
„Dann würdest du erfrieren. Du brauchst mich, um nach Hibernaculum zu kommen. Meinst du etwa, der Winter könnte nicht noch schlimmer werden? Das ist doch erst der Anfang. Schau dir Throbb an. Er hat Erfrierungen. In ein paar Nächten wird er wahrscheinlich nicht mehr fliegen können. Dann wird er seinen Flügel verlieren. Dir wird’s genauso gehen, wenn du dich nicht beeilst. Du hast nicht genug Fell, das dich schützt. Du brauchst einen warmen Platz für den Winter. Und zwar bald. Und du brauchst meine Hilfe, um die Silberflügel zu überzeugen, dass du ihr Freund bist.“
Man konnte sehen, dass Goth das Ganze nicht länger auf die leichte Schulter nahm.
„Das ist also unsere Abmachung“, sagte Schatten. „Ich bringe dich nach Hibernaculum und du bringst mich in den Dschungel.“
Für einen
Weitere Kostenlose Bücher