Silberhuf
schneidender Kälte und glühender Hitze, sobald die Sonne schien. Und wenn sie es nicht tat, froren wir bis auf die Knochen wie die Schneider. Abends war ich so erledigt, daß ich kaum das fürchterliche Essen herunterwürgen konnte, obwohl ich einen Bärenhunger hatte. Es erschien alles umsonst und trostlos. Manchmal erzählte mir Vater von Situationen, in denen er in ebensolche, scheinbar sinnlose Abenteuer verstrickt worden war. Aber er hatte durchgehalten und war dafür am Ende mit einem weitaus größeren Erfolg belohnt worden, als er je zu hoffen gewagt hätte. Damals dachte ich, er erzählt mir das alles nur, um mir Mut zu machen, was es ohnehin nicht tat. Aber schließlich wurde mir klar, daß es diese Charaktereigenschaft war, die ihn so berühmt werden ließ in seinem Beruf. Er war leidenschaftlich, aber geduldig, beharrlich, vorsichtig und noch dazu zäh. Er ließ sich nicht unterkriegen, bevor er nicht alles Menschenmögliche versucht hatte. Es war eine Lehre für mich. Aber damals haßte ich es.
Während dieser öden Tour ging es aufs Wochenende zu,und unsere Vorräte schrumpften bedenklich zusammen. Es war gegen Mittag, als die ganze Welt plötzlich von einer einzigen Wolke wie mit Brettern vernagelt zu sein schien. Und die Sicht war bis auf wenige Meter wie abgeschnitten — allerdings nur für uns, nicht für Silberhuf. Er bahnte uns den Weg mit seinem Radargerät, Vater an seiner Seite und ich als Nachhut. Und weiter ging’s. Wir plagten uns durch verharschten Schnee und Pulverschneewehen hindurch, bis ich ganz plötzlich unerwartet gegen Silberhuf prallte.
„Was ist?“ flüsterte mein Vater.
„Vor uns bewegt sich etwas“, sagte Silberhuf, „es ist ungefähr dreihundert Meter von uns entfernt.“
„Wie groß?“
„Größer als du. Etwa zwei Meter hoch. Es geht aufrecht und entfernt sich von uns, allerdings nicht sehr schnell. Vielleicht hat es uns gehört.“
Es war totenstill, wir gingen daher weiter und tasteten im Pulverschnee vorsichtig nach festem Boden unter den Füßen, um nicht auszurutschen und Lärm zu machen.
„Es ist hinter einen Felsen oder etwas anderem verschwunden, vielleicht in eine Höhle“, flüsterte Silberhuf.
„Macht nichts, laß uns weitergehen.“ Vaters Stimme war ziemlich erregt. „Bleib hinter mir, Jack.“
Er hielt sein kleines Gewehr schußbereit, das mit einem Betäubungsschuß geladen war, berechnet, um ein Tier von etwa zweihundertfünfzig Pfund zu betäuben, ohne es zu verletzen — „eine Art subkutaner Mickey-Finn-Cocktail“, hatte Vater schon öfter scherzhaft gesagt. Über der anderen Schulter hing sein Expreßgewehr.
Wir schlichen langsam vorwärts, bis Silberhuf sagte: „Wir sind fast an der Stelle, wo das Wesen verschwunden ist.“
Mein Mund war trocken. Ich fühlte den Schweiß in meinem Handschuh, als ich nach dem Gewehr griff.
„Sieh mal, hier“, flüsterte Vater, und als ich nach vorne kam, sah ich die Spuren. Unglücklicherweise lag Pulverschnee, der keine sehr klaren Abdrücke vermittelte. Aber die Umrisse deuteten auf ein zweibeiniges Wesen hin. Sie waren länger als breit. Etwa wie der Fuß eines Mannes, nur größer, und die beiden Tritte waren auch weiter auseinander. Falls es wirklich ein Mann war, mußte er mindestens zwei Meter groß sein, wie Silberhuf gesagt hatte. Da war eine Spur, die direkt auf uns zulief, und eine zweite, die sich von uns entfernte. Ich glaube, ich muß Vaters Hand mächtig gedrückt haben, denn er blickte auf mich runter und grinste mich beruhigend an.
„Mach ein paar Aufnahmen, Jack“, sagte er. „Obwohl es sinnlos ist, denn solche Schneespuren kann jeder nachahmen.“
Vater überprüfte meine kleine Kamera, und ich ließ ein paar Meter Film abrollen, wo er zu sehen sein würde, als er die Spuren beäugte. Und dann nahm ich die Spuren noch von nahem auf.
„Komm“, flüsterte Vater, „wir wollen uns hier mal ein bißchen umsehen.“
Zu Hause war mir der bloße Gedanke, nach den Schneemenschen zu forschen, als etwas Aufregendes erschienen. Aber jetzt fand ich, es sei gefährlicher Blödsinn, weiterzugehen und zu riskieren, daß dieses geheimnisvolle Etwas, das vielleicht nur darauf lauerte, uns ansprang. Ich nehme stark an, mir standen die Gedanken auf der Stirn geschrieben, denn Vater sagte sehr ruhig: „Wir brauchen keine ganze Armee, Jack, vielleicht ist es besser, du wartest hier.“
Aber die bloße Vorstellung, in diesem Nebel mutterseelenallein zu warten, erschien mir das
Weitere Kostenlose Bücher