Silberhuf
wolligen Wolken steckten gelegentlich schneebedeckte Bergspitzen ihre gezackten Köpfe in das Licht, wie Eisberge.
Das Pferd war die ganze Zeit über sehr ruhig gewesen und sagte plötzlich „Jack, kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“
„Ja“, sagte ich.
„Versprichst du mir, es niemandem zu verraten? Ich meine natürlich deinem Vater!“
Er hatte mich an einer wunden Stelle berührt. Verspräche ich es nicht, würde ich ohnehin nichts erfahren, und das würde dasselbe bedeuten wie versprechen.
„Ich verspreche es“, sagte ich.
Dann kam eine lange Pause.
„Ich werde euch verlassen, dich und Mike“, sagte das Pferd.
„Verlassen?“ fragte ich und glaubte, nicht recht gehört zu haben.
„Jawohl, euch verlassen.“
„Nach all unseren Plänen?“
„Das ist es ja gerade“, sagte Silberhuf. „Mikes Pläne. Das ist der Stein des Anstoßes. Ich will nicht herumgereicht werden als Ausstellungsstück, wie in den Tagen der Kaiser-Witwe. Das war fürchterlich. Wobei ich damit nicht in Abrede stelle, daß es interessant wäre, all die vielen Länder kennenzulernen, von denen dein Vater sprach. Aber das ganze Theater, als eine Sehenswürdigkeit für neugierige Leute herumgereicht zu werden, die einen anstarren . . .! Nein, Jack, ich bleibe lieber hier in den Bergen und in den Tälern.“
Ich konnte ihn verstehen. Aber dann dachte ich an meinen Vater, wie enttäuscht er sein würde, ganz zu schweigen von dem vielen Geld, das wir bekommen würden, wenn Silberhuf mit uns zurückkäme. Ich mußte etwas unternehmen.
„Nach allem, was mein Vater für dich getan hat, finde ich es reichlich undankbar.“
„Vielleicht scheint es so, Jack, aber dein Vater tut das alles nur für sich selbst und nicht für mich. — Aber weißt du, gleichzeitig hat er mich verändert. Und ich bin ihm dankbar dafür. Ich war hilflos zuvor, und jetzt bin ich unabhängig. Es ist eine feine Sache, unabhängig zu sein und nicht nur ein Stück Vieh, das man benutzt. Mir gefällt das. Und wenn du es von dieser Seite betrachtest, Jack, Mike hat mir geholfen, und jetzt helfe ich Mike. Das ist fair und läßt keinerlei Verpflichtungen zurück. Du hättest niemals im Leben den Weg zur Höhle gefundenund wieder zurück, ohne mich. Ich verdanke mein neues Leben deinem Vater, und er verdankt mir seins.“
„Natürlich wäre es am allerbesten, wenn ihr beide hierbleiben würdet, besonders du, Jack. Dann könnten wir beide in den Bergen herumziehen. Aber ich sehe ein, daß das nicht sein kann. Ich werde daher jetzt mit dir kommen und Mike heraushelfen, und ein bißchen später werde ich mich leise davonstehlen.“
Ich heulte. Ich versuchte, Silberhuf zu überreden, aber er war durch nichts zu bewegen. Schließlich sprachen wir kein Wort mehr und kamen schweigend an der Unglücksstelle an.
Kurz davor drangen Silberhufs letzte Worte an mein Ohr: „Ich möchte dich daran erinnern, Jack, ich habe dein Versprechen.“
„Und ich werde es einhalten“, sagte ich, obwohl mir der Gedanke verhaßt war.
Mir war alle Freude genommen, selbst als ich Vater über den Spalt herausklettern sah, blieb ich bedrückt. Und er bemerkte es. „Du scheinst hundemüde zu sein“, sagte er.
Ich ließ ihn bei dem Glauben.
Auf dem Weg nach unten zur Höhle war Vater wieder voller Pläne. Unsere Vorräte waren aufgebraucht. Er sagte, wir müßten deshalb zum Nonnenkloster zurück. Aber danach würden wir gleich wieder zu derselben Stelle zurückeilen, damit uns der Schneemensch nicht entwischt.
„Ich hätte mich ohrfeigen können, daß ich keinen Infrarotfilm in die Kamera eingelegt habe“, fuhr er fort. „Selbst wenn wir nichts sehen können, hätte Silberhuf Richtung und Entfernung bestimmt, und wir hätten den Burschen durch die Wolken hindurch photographieren können. Weißt du, wir werden ihn am Ende doch noch erwischen.“
Vater war Feuer und Flamme, und ich warf Silberhuf die ganze Zeit verstohlene Blicke zu, um zu sehen, ob er etwas sagte oder womöglich doch seine Meinung ändern würde. Ich fühlte mich wie ein Verräter, weil ich meinem Vater nichts sagen durfte. Die ganze Tour war mir versalzen, ausgerechnet als er am glücklichsten war.
Für mich sah ein Talausgang genauso aus wie der andere. Aber Silberhuf führte uns, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Und eine Woche später saßen wir bereits wieder in dem heißen Tümpel, wenige Schritte von unserem Nonnenkloster entfernt.
Wir hatten unsere Satteltaschen und Schlafsackrollen
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