Silberhuf
Hauptfeder zuschanden.“
Mein Vater lachte. „Was, du warst auch in dieses Geschäft verwickelt?“
Er drehte mir sein schweißbedecktes Gesicht zu, um mich aufzuklären. „Die Kaiser-Witwe, Tse-hsi wurde sie, glaub ich, genannt“ — das Pferd nickte —, „nahm enorme Geldsummen ein, vielmehr ließ sie eintreiben, angeblich um die chinesische Marine aufzubauen. In Wirklichkeit aber wurde das Geld für den Wiederaufbau und den Ausbau dieses entsetzlichen Sommerpalastes in Peking ausgegeben. Als gewisse Konzession ließ sie für die Marine, die ohne Schiffe blieb, ein Boot aus Marmor am Rande des Sees erbauen.“
„Kann ein Marmorboot schwimmen?“ fragte ich.
„Wenn es richtig gemacht wird, wäre es möglich, aber dies war nichts als ein Bauwerk im Wasser, das einen Raddampfer vortäuschte. Einerlei, das geschah jedenfalls mit dem Geld.“
„Was mich anbetrifft“, sagte Silberhuf, „ich kehrte niemals von dieser Reise zurück. Auf dem Wege von Chengtu wurde unser Gefolge von Banditen überfallen, und ich wurde geraubt. Zuerst stellten sie mich auf eine flache Plattform mit Rädern. Aber später brachen die Räder, und dann mußte ich laufen. Wir folgten einer Yakspur. Ich wurde unentwegt aufgezogen, und zu guter Letzt brach meine Hauptfeder. Das alles geschah hier ganz in der Nähe.“
„Die Räuber wollten mich nach Indien transportieren und mich dort verkaufen. Sie wagten es nicht, mich in China zu veräußern. Die Kaiser-Witwe hätte jeden hinrichten lassen, der mich gekauft hätte. Kurze Zeit darauf wurden die Räuber von einigen hiesigen Stammesangehörigen angegriffen. Die Räuber vertrieben sie, hatten aber selbst einige Todesopfer zu beklagen. Daher trugen sie mich mit Stangen unter meinem Bauch in dieses Lamakloster.“
„Was war das hier, damals?“ fragte mein Vater.
„Ein Nonnenkloster, ein kleines Nonnenkloster, das der Sagya-Sekte gehörte. Die Räuber überredeten die Nonnen, mich in ihren Vorratsraum tragen zu helfen, indem sie vorgaben, es handele sich um ein Geschenk an das Kloster. Danach überfielen sie die Nonnen heimtückisch, nahmen die jungen gefangen und verschleppten sie. Soweit mir bekannt ist, sind die alten Nonnen, die mit dem Leben davongekommen sind, weggezogen. Denn seither hat keine Menschenseele mehr den Abstellraum betreten. Bis zu jenem denkwürdigen Tag, an dem Sie erschienen.“
Mein Vater richtete sich dampfend im Wasser auf und fing an, sich mit seinem Hemd abzutrocknen.
Er redete sich in Ekstase: „Das wird eine Story, eine tolle Geschichte. Das ist der Knüller des Jahrhunderts. Auf der Suche nach den Schneemenschen mit Chien Lungs Bronzepferd. Das wird ein Bestseller, Jack . . ., hardcover, paperback! Fernsehen, Filme, eine Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten, Ausstellungen. Du begleitest Silberhuf auf der Tournee, während ich das andere erledige, Schreiben und den ganzen anderen Kram. Schließlich braucht Silberhuf nichts weiter zu tun, als zu gehen und zu sprechen, und das Geld kommt von ganz alleine angerollt.“
Er schlüpfte in seine Sachen, so als ob jede Minute gezählt sei. Aber bevor er mich an Land ließ, machte er eine Tonbandaufnahme von mir, als ich im Wasser stand und mit Silberhuf plauderte. Dann sagte er: „Zieh dich schnell an, Jack, damit wir weiterkommen.“
Die nächsten sechs Tage waren alle gleich, mit Ausnahme, daß es allmählich immer mehr bergan ging. Zu Fuß auf dem Dach der Welt zu wandern hat den Vorteil, daß man seinem Körper genug Zeit läßt, um sich an die immer dünner werdende Luft zu gewöhnen. Im Auto dagegen, das oft am Tag bis zu dreihundert Kilometer zurücklegt — vorausgesetzt, der Weg ist einigermaßen —, fühlt man sich oft dem Ersticken nahe. Und nachts dröhnt einem das Herz in der Brust und in den Ohren. Zu Fuß geht’s nur langsam bergauf, so daß sich schnell genug rote Blutkörperchen bilden können, um mit jedem Atemzug genügend Sauerstoff aufzunehmen.
Allmählich wurden die kleinen Steinhaufen immer seltener, die man im Himalaja findet und auf die vorüberkommende Reisende einen Stein werfen, um dadurch bei den Göttern eine glückliche Reise zu erheischen. Und schließlich verschwanden die Steinhaufen völlig, genau wie alle übrigen Zeichen von Leben.
Die Blumen wurden winziger, das Gras dünner, und dann war überhaupt keins mehr da. Fels, Steine und Flugsand, daraus bestand die ganze Landschaft.
Sobald das Eis und der Schnee an den tiefer liegenden Eisrändern zu schmelzen
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