Silberhuf
begannen, flossen weiter unten klare, grüne Bäche durch die Talgründe, durch den Sand und zwischen den Felsen hindurch. Wenn der Wind aus Nordwest wehte, spürten wir den eisigen Atem der schneebedeckten Gipfel. Einmal rasteten wir an einem heißen Mittag in der Näheeines versandeten Tümpels. Vater sagte, der sähe aus wie „Liebfrauenmilch“.
Wir schwitzten, und das Wasser war sehr verlockend. Im Nu schlüpften wir daher aus unseren Kleidern. Aber das Wasser war eisig, kaum zu glauben. Es schnitt sich sofort in die Glieder ein, so daß man es tief bis auf die Knochen spürte. Mit Müh und Not tauchten wir einmal unter und rannten danach mit klappernden Zähnen sofort wieder raus.
Nachmittags kam gewöhnlich ein Wind auf und heulte durch die Täler. Dabei blies er soviel Sand vor sich her wie ein Sandstrahler.
Aber komischerweise schien der Wind niemals ganz bis auf den Boden zu gelangen. Wir fanden das erst heraus, als wir uns einmal bei Sturm auf die Erde legten und uns plötzlich in einem völlig windstillen Raum befanden. Aber das nutzte Silberhuf herzlich wenig. Weil wir schon einmal in solche Sandwehen geraten waren, hatte Vater Angst, der Flugsand könnte die grüne Patina von Silberhufs erhöhten Körperteilen abtragen und womöglich auch in die Maschinerie eindringen.
Wir deckten das Pferd daher mit unseren Schlafsäcken zu und gelangten selbst mit Müh und Not in den Windschatten. Nach diesem Erlebnis wurden wir viel vorsichtiger.
Obwohl Vater mir mehr als die Hälfte der Essenration zuschob, knurrte mein Magen andauernd. Entweder rasteten wir unter einem Felsvorsprung oder in einer Höhle, wo wir, geschützt vom Flugsand, unser kärgliches Mahl verzehrten. Da es weder Holz noch Gras zum Verbrennen gab, mußten wir sehr sparsam sein mit unserem kleinen Vorrat an festem Brennstoff. Wir spendierten ihn nur für den Buttertee. Ehrlich gesagt, kaltes Büchsenfleisch, ein bißchen Schiffszwieback und als Nachtisch eine Handvoll Rosinen oder Schokolade undVitamintabletten gehen einem wachsenden Twen auf die Dauer auf die Nerven. Langsam, aber sicher fing ich an von Mamas guter Küche zu träumen.
Bei Tagesanbruch erwachten wir kalt und steif in unseren mit Rauhreif überzogenen Schlafsäcken. Wir machten uns daher immer gleich auf die Socken; das ist das beste Mittel, ohne Feuer warm zu werden. Sobald die Sonne richtig aufgegangen war, rollten wir unsere Schlafsäcke auseinander und ließen sie austrocknen. Währenddessen frühstückten wir oder hielten einen Brunch — das heißt, wir machten Frühstück und Mittag zusammen. Öfter als zweimal am Tag wagten wir sowieso nicht zu essen.
Es gab nichts zu schießen, und selbst wenn, wie hätten wir das Fleisch zubereiten sollen? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wovon ein Jeti in dieser Einöde und Leere überhaupt leben sollte.
Es vergingen sechs Tage, vom Nonnenkloster aus gerechnet, bis der erste Bergriese der Schneekette hoch über uns im Himmel hing. Und überall, wo es Schatten gab, war es weiß, ganz reines Weiß. Hoch oben auf den Gipfeln schien die Sonne, daß sie blendete.
An jenem Abend waren wir völlig umgeben von Eis und Schnee. Silberhuf fiel das Bergsteigen viel leichter als uns, Kunststück, er brauchte ja auch nicht zu atmen.
Jene mit Eisenspitzen versehene Platten, die Vater ihm unter die Hufe geschraubt hatte, griffen ein wie Eishaken, während wir dagegen nur dickbesohlte Stiefel trugen. Wir verbrachten die Nacht unterhalb der Schneegrenze in einer Höhle. Vater entschloß sich, unsere Sachen hier zu stationieren und täglich von hier aus die Täler zu erforschen. Mir erschien das ein völlig aussichtsloses Unternehmen — alle diese Tausendevon Tälern, die wir aus der Ferne gesehen hatten, in Angriff zu nehmen. Ich war müde, und es reichte mir. Allerdings wagte ich nicht, es Vater einzugestehen. Aber zu diesem Zeitpunkt sehnte ich mich nach dem Komfort unseres alten verstaubten Klosters und nach einer handfesten warmen Mahlzeit.
Ein Tal nach dem anderen zu bewältigen, Tag für Tag, das war unser Programm. Und eins war genauso kalt und leer wie das andere. Schnee und Eis in jeder Form und sonst nichts — absolut nichts, weder eine Tierspur noch die eines Vogels. Ganz abgesehen davon, daß solche Spuren in wenigen Minuten unter den unentwegt vorwärts treibenden Eisnadeln verweht worden wären. So wie die Sonne uns das Gesicht abschälte, so zerstachen es die Eisnadeln. Wir pendelten ständig hin und her zwischen
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