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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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Knie, junge Dame«, wiederholte er.
    Ich gehorchte und kniete mich in die Mitte der Stühle.
    »Bete um Vergebung und Führung«, wies er mich an.
    Cathy setzte sich auf ihren Stuhl und faltete die Hände.
    »Lass sie allein«, schnauzte Dan. Zu mir sagte er: »Ich werde später kommen und dich entlassen.«
    Ich beobachtete Cathy, wie sie sich langsam erhob. Sie sah mich gequält an. Ich hatte sie um Hilfe gebeten, und sie hatte mich den Löwen vorgeworfen. Sie hatte versucht, ihr kleines Mädchen zu retten, doch manchmal töteten selbst Mütter mit den besten Absichten ihre Töchter.
    Sie schlug sich eine Hand vor den Mund, als sie Dan aus dem Zimmer folgte, mich in dem harten Licht kniend zurückließ.
    Der Raum war so still wie ein Totenmuseum – ich sah Schachteln mit ungelegten Puzzles, Spiele, die keinen Spaß bereiteten, eine Musikanlage, zu der keiner tanzte, Fenster, die auf einen Garten hinausgingen, in dem noch nie jemand ein Gedicht geschrieben hatte. Doch ein wundervolles Detail stach mir ins Auge. Das Telefon. Es hatte das
Scrabble-
Spiel unterbrochen – das, bei dem Cathy sich Dan widersetzt hatte. Er hatte gelogen, warum er zu spät zum Gemeindepicknick erschienen war, und Cathy hatte diesen Telefonhörer in der einen und die Tankquittung in der anderen Hand gehabt. Dasselbe Telefon, mit dem ich einmal bei James angerufen hatte. Ich wusste nicht, was passieren würde, wenn sie zurückkämen und mich erwischten, aber ich ging das Risiko ein. Leise nahm ich den Hörer ab und wählte, doch in der Amelia Street war besetzt.
    Ich kniete mich wieder in die Gebetsecke, schloss meine Augen und betete inbrünstig. »Bitte, lieber Gott, mach, dass James in Sicherheit ist und dass wir zusammen sein können.«
    Ich wollte mir James in allen Einzelheiten ins Gedächtnis rufen, jede Sekunde unseres Zusammenseins auf dem Theaterdachboden. Ich wollte alles noch einmal durchleben, was er je zu mir gesagt hatte, Satz für Satz, doch meine Erinnerung ließ mich im Stich. Ich sah seltsame Bilder vor meinem inneren Auge auftauchen und wieder verschwinden, wie Wolken, die über ein Feld zogen und nacheinander verschiedene Flecke im wandernden Licht beleuchteten. Ich sah einen Quilt, den ich auf einer Holzveranda ausschüttelte. Eine Wäscheleine, auf der Hemden und Hosen wie lebendig im Wind flatterten. Einen einbeinigen Spatz, der von der Wasserpumpe weghüpfte, als ich mich näherte. Ich öffnete die Augen und war mir sicher, dass die Bilder verschwinden würden, doch jetzt hörte ich auch noch Dinge, die nicht zu Jennys Haus gehörten. Die sanften Stöße meines Schaukelstuhls, während er über die Kante des Kaminvorlegers rollte. Das hohe Heulen von Harz, das aus einem Holzscheit ins brennende Feuer austrat. Grillengezirpe durch das offene Schlafzimmerfenster. Ein Mann, der eine knarrende Holztreppe hinaufging.
    Wenn mich die Geräusche schon aus der Fassung brachten, so machten mir die aufsteigenden Gerüche nun wirklich Angst. Hier, in dem düsteren, leblosen Raum von Jennys Eltern konnte ich die vertraute Mischung aus nassem Stroh und warmer Milch riechen, das Lavendelsäckchen, das im Wäscheschrank steckte, den schmerzhaft süßen Vanilleduft eines Säuglings. Mit weit aufgerissenen Augen betete ich, während der Wind um mich herum immer stärker heulte. Ich wagte nicht einmal zu blinzeln. Ich flehte um Hilfe – an etwas anderes konnte ich nicht denken. Ich erinnerte mich nicht, dass ich ohnmächtig wurde, doch als sich die Tür öffnete, lag ich auf dem Boden. Ich war noch ganz benommen, und meine Beine fühlten sich taub an, als Dan den Raum betrat. Ich setzte mich auf und sah ihn an, unsicher, ob ich Mitgefühl oder Ärger zu erwarten hatte. Sein Gesichtsausdruck war undurchschaubar.
    »Geh ins Bett«, sagte er. »Die Bewegungsmelder im Garten sind eingeschaltet«, fügte er hinzu, als ob er mir die Peinlichkeit ersparen wollte, auf halbem Weg über den Rasen ertappt zu werden.
    Niemand kam und gab mir einen Gutenachtkuss. Ich wartete, bis das Haus zur Ruhe gekommen war, und schlich mich dann in die Küche, um möglichst weit vom Elternschlafzimmer entfernt zu sein.
    Mitchs Kumpel Benny nahm ab. Es klang, als wären einige Leute im Haus, die lachten und sich unterhielten. Im Hintergrund hörte ich Musik. Als Billy an den Apparat kam, sagte ich nur ein einziges Wort: »James?«
    »Wer?« Die Stimme klang fremd und verwirrt. Nach einer kurzen Pause sagte Billy Blake: »Entschuldigung, aber hier gibt es

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