Silberlicht
keinen James.« Dann brach die Verbindung ab.
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Kapitel 16
D u musst noch einmal ins Haus«, sagte Cathy, die dachte, ich würde vor Kälte zittern. »Hol deinen schwarzen Pullover.«
Ich konnte mich nicht einmal erinnern, wie ich mich heute Morgen angezogen hatte, aber ich trug ein ärmelloses Kleid. Ich stieg aus und ließ Cathy zurück, das Auto verharrte im Leerlauf.
Als ich ins Haus trat, schien Dan mich nicht zu hören. Er telefonierte ohne sein übliches Flüstern.
»Was für ein Notfall?«, fragte er. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand offen, und er kramte in seiner Schreibtischschublade, den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt. »Wie lange?« Während er in den Hörer horchte, inspizierte er einen Schlüssel. »Ich treffe dich dann dort.« Er verstaute den Schlüssel in seiner Hosentasche. Ich sah Dan heute zum ersten Mal. Er hatte auf das übliche Gebetseck-Ritual verzichtet.
»Das werde ich, sobald sie zurückkommt«, sagte er. Dann lachte er. »Sie ist ein großes Mädchen.« Ich dachte, er spräche über mich, doch dann fuhr er fort: »Und Jenny auch. Sie werden zurechtkommen.« Sprachlos starrte ich ihn vom Flur aus an. »Ich habe alles unter Kontrolle«, seufzte er. »Ich weiß, was ich tue.« Er drehte sich mit einer Ungezwungenheit in meine Richtung, die zeigte, dass er glaubte, allein zu sein. »Es gibt keinen Grund, sich …«
Dan hielt inne und blinzelte mich an. »Hallo, Püppchen«, sagte er. »Hast du etwas vergessen?«
Ich merkte, dass ich ihn aus der Fassung gebracht hatte – unter anderen Umständen hätte er niemals vergessen, dass er eigentlich auf mich böse war. Mit Abscheu erinnerte ich mich an die niederdrückende Last seiner Hände, mit denen er sich auf mir abstützte, während er Gott bat, mich gefügig zu machen.
»Fass mich nie wieder an«, hörte ich mich selbst sagen.
»Wie bitte?«
Ich drehte mich um und ging wortlos in mein Zimmer.
»Warum hat das denn so lange gedauert?«, fragte Cathy, als ich die Tür zuschlug.
Ich schnallte mich an und wollte schon sagen: »Ich habe das Schlafzimmerfenster nicht aufbekommen.« Doch ich schwieg.
Im Gemeindezentrum bot mir die Sekretärin wie einer Fünfjährigen ein Bonbon aus ihrer herzförmigen Schale an.
»Pastor Bob musste zu einem Notfall«, sagte sie. »Doch eine der Laienberaterinnen, Judy Morgan, übernimmt seine Termine heute Morgen, wenn das in Ordnung ist.«
»Natürlich«, erwiderte Cathy. »Judy ist wunderbar.«
Der Geruch nach verwelkten Lilien und Kerzenwachs hing schwer im Raum.
»Sie können in einer Stunde wieder kommen«, sagte die Sekretärin zu Jennys Mutter.
»Nein.« Cathy setzte sich auf die Besuchercouch. »Ich werde warten.«
Bevor ich mich neben ihr niederlassen konnte, kam eine ältere Frau über den Flur auf uns zu. Sie tupfte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen, und es schien ihr unangenehm zu sein, dass Cathy und ich sie weinen sahen.
»Geh nur hinein«, forderte die Sekretärin mich auf.
Offensichtlich sollte ich die Beratungsstunde alleine wahrnehmen, denn Cathy rührte sich nicht. Ich ging den Korridor entlang und öffnete eine Tür, auf der PASTOR stand. Als ich eintrat, traf mich der durchdringende Gardeniengeruch wie ein Schlag. Die Frau hinter dem Schreibtisch sprach in einen roten Knopf am Telefon. »Haben Sie Jenny
Thompson
gesagt?« Sie sah mich an, als hätte ich sie beim Stehlen der Kollekte ertappt. Sie drückte den roten Knopf, und das Licht erlosch.
»Hallo, Jenny.« Sie lächelte, doch ihr Gesicht war kreidebleich. Ich setzte mich auf den Stuhl ihr gegenüber und atmete ihren Duft tief ein. Einen Moment später hatte sie ihre Fassung wiedererlangt und musterte mich mit kühler Weisheit.
»Pastor Bob ist ins Krankenhaus gerufen worden«, erklärte sie und strich sich durch ihr kurzes schwarzes Haar.
Wie war noch mal der Name der Frau? Jenny hätte sich daran erinnert. Und Cathy musste sie sehr gut kennen. Es war die Ballerina vom Abend zuvor.
»Geht es dir besser?«, fragte sie. »Du schienst gestern ein wenig durcheinander zu sein.«
»Ja danke.«
»Was bedrückt dich?«
Ich erwog verschiedene Antworten, sagte dann jedoch: »Meine Eltern denken, dass mich ein Lehrer in der Schule missbraucht hat, aber das stimmt nicht.«
»Warum glauben sie das denn?«
Gestern Abend hatte sie ihr Lieblingsparfüm und einen blauen Pullover mit Gänseblümchen getragen. Ich versuchte mich an ihren Gesichtsausdruck zu erinnern, als
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