Silberlinge
Shiro?«
Ich schüttelte den Kopf. »Er kommt nicht mit.«
Susan holte tief Luft und nickte. »Kannst du klettern?«
»Ich glaube schon.« Ich beäugte die Leiter und hielt ihr den Stock hin. »Nimmst du den für mich?«
Susan streckte die Hand aus, doch auf einmal gab es mehrere silberne Entladungen. Sie fauchte und riss die Hand zurück.
»Was zum Teufel ist das?«
»Ein magisches Schwert.«
»Tut weh«, erwiderte Susan. »Geh du vor, ich folge dir.«
Also mühte ich mich mit dem Stock ab und schob ihn, so gut es ging, hinter den Kummerbund meines Smokings. Nachdem ich ein paar Sprossen geklettert war, begann Deirdre wieder hinter mir zu kreischen, dieses Mal mit ihrer reinen Dämonenstimme, die schaurig durchs Gemäuer hallte.
»War das nicht…« Susan schlenkerte immer noch ihre Hand. »Ja. Steig hoch«, sagte ich. »Und beeil dich.«
Der Kampf und die Aufregung hatten mich wieder aufgetaut, wenigstens fühlte es sich so an. Meine Finger kribbelten, aber ich konnte sie gebrauchen und sogar recht schnell klettern. »Wie hast du mich gefunden?«
»Shiro war es«, erwiderte Susan. »Wir sind zu Michael gefahren, um Hilfe zu holen, und er schien zu wissen, wohin wir fahren mussten. Anscheinend eine Art Instinkt.«
»Ich habe mal gesehen, wie Michael das gemacht hat«, erklärte ich keuchend. »Er sagte mir, er wüsste, wie er herausfinden kann, wo er gebraucht wird. Wie lang ist diese verdammte Leiter denn noch?«
»Noch zehn bis fünfzehn Meter«, antwortete Susan. »Wir kommen im Keller eines leeren Gebäudes südlich vom Loop heraus. Martin wartet am Wagen.«
»Was hat dieser Kerl im Hotel eigentlich mit der Bruderschaft gemeint?«, fragte ich.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Erzähl mir das Wichtigste.«
»Später.«
»Aber…«
Ich konnte nicht weiter protestieren, weil ich ausrutschte und fast gestürzt wäre, als ich das obere Ende der Leiter erreichte. Ich fing mich wieder und kletterte in einen völlig dunklen Raum hinauf. Als ich mich umdrehte, hob Susans Schatten sich vor einem schwachen grüngoldenen Licht ab. »Was ist das für ein Licht?«, fragte ich.
»Ihre Augen«, erwiderte Susan. Ihre Stimme klang leicht gepresst. »Sie kommt näher. Mach Platz.«
Ich gehorchte. Susan huschte neben mich, als das grüngoldene Licht stärker wurde. Jetzt hörte ich auch das stählerne Kratzen der mörderischen Haare. Susan zog etwas aus ihrer Jackentasche. Es klimperte und klingelte. Dann flüsterte sie: »Eins, eintausend, zwei, eintausend, drei, eintausend, vier, eintausend.« Nun warf sie etwas die Leiter hinunter, drehte sich zu mir um und legte mir die Hände auf die Augen. Gleichzeitig zog sie mich von der Leiter weg. Endlich verstand ich und kehrte dem Schacht und der Leiter den Rücken zu. Es gab einen höllisch lauten Knall und einen Lichtblitz, der Susans Finger hellrosa glühen ließ.
Meine Ohren dröhnten, und ich schwankte benommen. Susan stützte mich und zog mich weiter durch die Dunkelheit. Sie bewegte sich zielstrebig und ohne zu zögern. Aus dem Schacht hörte ich das wütende Kreischen des Dämonenmädchens.
»War das eine Handgranate?«, fragte ich.
»Nur eine Blendgranate«, antwortete Susan. »Grelles Licht und viel Krach.«
»So was schleppst du mit dir herum?«
»Nein, Martin hat sie mir geliehen.«
Ich stolperte über etwas Weiches, das auf dem Boden lag. »Oh, was war das denn?«
»Keine Ahnung. Irgendein Tier, das den Zugang bewacht hat. Shiro hat es getötet.«
Beim nächsten Schritt quoll etwas Warmes empor und befeuchtete meine Socke. »Wie schön.«
Susan riss eine Tür auf, vor uns lag das nächtliche Chicago, und ich konnte endlich wieder etwas sehen. Draußen ging es eine Betontreppe hinab zur Straße. Die Gegend erkannte ich nicht sofort, aber es war gewiss kein angenehmes Viertel. Es hatte eine drohende Ausstrahlung, neben der Sinclairs Dschungel wie Mary Poppins wirkte. Der Himmel war nicht mehr völlig dunkel – anscheinend nahte die Dämmerung. Susan sah sich leise fluchend um. »Wo steckt er nur?«
Ich drehte mich zu ihr um. Die Kringel und Zacken ihrer Tätowierung hoben sich immer noch dunkel von ihrer Haut ab. Ihr Gesicht wirkte schmaler, als ich es in Erinnerung hatte.
Wieder ertönte im Gebäude ein Kreischen. »Das ist wirklich kein guter Augenblick, um sich zu verspäten«, sagte ich. »Ich weiß.« Nervös spannte sie ihre Finger. »Harry, ich weiß nicht, ob ich mit dem Dämonenbiest fertig werde, wenn es angreift.« Sie
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