Silberlinge
verblüfft.
Abwehrend hob sie beide Hände. »Das geht mich nichts an.«
»Bei den Toren der Hölle, Murph.«
Sie seufzte, wich meinem Blick aus und schwieg eine kleine Weile. Schließlich sagte sie: »Eine Frau flieht nicht vor einem Kerl, mit dem sie nur reden will.«
Ich starrte ihr Profil an, dann meine Füße. Keiner von uns sagte etwas.
Endlich erreichten wir das Leichenschauhaus. Murphy drückte vor dem Eingang auf einen Knopf. »Ich bin’s, Murphy«, sprach sie in das kleine Metallgitter neben der Tür.
Gleich darauf summte und klickte es. Ich hielt Murphy die Tür auf. Bevor sie eintrat, warf sie mir einen kühlen Blick zu. Murphy hält nicht viel von Ritterlichkeit.
Die Leichenhalle war wie alle anderen, die ich bisher aufgesucht hatte. Kalt, sauber, mit Neonröhren hell beleuchtet.
An einer Wand befanden sich die Kühlfächer mit den Metalltüren, mitten im Raum gab es einen belegten Autopsietisch, der Kunde war mit weißen Laken bedeckt. Gleich daneben stand ein Rollwagen mit medizinischem Gerät, vor einem billigen Schreibtisch ein zweiter.
Polkamusik mit viel Akkordeon und Klarinette wummerte fröhlich aus der kleinen Anlage auf dem Schreibtisch, an dem ein kleiner Mann mit einer wilden schwarzen Mähne arbeitete. Er trug einen Arztkittel und grüne Häschenpantoffeln, komplett mit Schlabberohren. Mit einem Stift füllte er wie besessen einen Stapel Formulare aus.
Als wir eintraten, hob er kurz eine Hand, beendete seine Schreibarbeiten mit einer schwungvollen Unterschrift und sprang strahlend auf. »Karrin! Mensch, Sie sehen ja heute Abend hinreißend aus. Was ist der Anlass Ihres Besuchs?«
»Bei uns trampeln gerade einige hohe Tiere von der Stadtverwaltung herum«, erklärte Murphy. »Deshalb müssen wir unsere guten Sachen anziehen und viel lächeln.«
»Diese Säcke«, meinte der kleine Kerl fröhlich. Er warf mir einen Blick zu. »Vermutlich geben Sie zu viel Geld für spiritistische Berater aus. Sie müssen Harry Dresden sein.«
»Das steht jedenfalls auf den Schildchen in meiner Unterwäsche«, bestätigte ich.
Er grinste. »Schöner Mantel, gefällt mir.«
»Harry«, stellte Murphy ihn vor. »Das ist Waldo Butters, der stellvertretende Gerichtsmediziner.«
Butters schüttelte mir die Hand und ging auf den Autopsietisch zu. Unterwegs schnappte er sich Gummihandschuhe und einen Mundschutz. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mister Dresden«, sagte er im Gehen. »Anscheinend wird mein Job immer dann recht interessant, wenn Sie für die Sondereinheit arbeiten.«
Murphy knuffte mich mit einer Faust und folgte Butters, ich bildete die Nachhut.
»Masken liegen links auf dem Tablett, kommen Sie dem Tisch bitte nicht näher als einen halben Meter, und kotzen Sie mir um Gottes willen nicht auf den Fußboden.« Wir setzten ebenfalls einen Mundschutz auf, und dann zog Butters das Laken weg.
Ich hatte schon eine Reihe von Leichen gesehen, für einige war ich sogar verantwortlich gewesen. Ich hatte gesehen, was von Menschen übrig blieb, wenn sie lebendig verbrannt wurden, wenn Bestien sie zerfleischt oder wenn ihre Herzen dank einer Übung in Schwarzer Magie in der Brust explodiert waren.
Aber so etwas wie das hier hatte ich noch nie gesehen. Ich schob den Gedanken sofort beiseite und konzentrierte mich lieber auf die Einzelheiten. Bei diesem Anblick war es nicht gut, zu viel nachzudenken. Hätte ich es getan, dann hätte ich womöglich wirklich Butters’ Fußboden verschmutzt. Das Opfer war männlich, knapp über einen Meter achtzig groß und von schmaler Statur. Seine Brust sah aus wie zehn Kilo rohes Hackfleisch. Von den Schlüsselbeinen bis hinunter zum Bauch und quer über den ganzen Körper liefen feine Linien. Die Schnitte waren im Abstand von etwa zwei Millimetern gesetzt, und das Muster war fast makellos präzise. Die Schnitte waren außerdem recht tief, und ich hatte das unangenehme Gefühl, der ganze Körper würde in Scheiben zerfallen, wenn ich ihn auch nur leicht berührte. Der wie ein Y geformte Einschnitt des Leichenbeschauers war glücklicherweise schon wieder geschlossen. Die Schnitte störten das vollkommene Muster.
Als Nächstes fielen mir die Arme des Toten auf. Oder vielmehr das, was dort fehlte. Die linke Hand war knapp zehn Zentimeter über dem Handgelenk abgehackt. Das Fleisch klaffte auf, ein schwarz verkrusteter Knochen stand ein Stück hervor. Der rechte Arm war kurz unter dem Ellbogen abgetrennt und sah ganz ähnlich aus.
Jetzt rumorte es deutlich in meinem
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