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Silberlinge

Silberlinge

Titel: Silberlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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weit, dass sie durchschnittliches und alltägliches übernatürliches Gesindel selbst erledigen können. Hin und wieder ereignet sich aber etwas, mit dem sie nicht weiterkommt. Meine Telefonnummer liegt auf einer ihrer Kurzwahltasten. »Murph«, sagte ich. »Was gibt es?«
    »Eine inoffizielle Sache«, erwiderte sie. »Ich möchte Sie bitten, sich etwas anzusehen.«
    »Inoffiziell bedeutet wohl unbezahlt«, antwortete ich.
    »Sind Sie bereit, etwas gemeinnützige Arbeit zu leisten?« Sie zögerte, ehe sie fortfuhr: »Es könnte sehr wichtig für mich sein.«
    Was soll’s. Der Abend war sowieso schon ruiniert. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Cook County Morgue«, sagte Murphy. »Sie sollen sich im Leichenschauhaus einen Toten ansehen.«

5. Kapitel
     
     
     
    Leichenhallen haben keine Fenster. Wenn es die Ortsverhältnisse erlauben, werden sie häufig sogar unterirdisch gebaut. Vermutlich ist es unter der Erde leichter, die sarggroßen Kammern zu isolieren und zu kühlen. Das kann aber nicht der einzige Grund sein. Wenn etwas unter der Erde ist, dann denken wir nicht nur an die relative Höhe. Unter der Erde befindet sich alles, was tot ist. Also die Hölle, Gehenna, Hades und ein Dutzend andere Orte, an denen man sein Nachleben fristen kann.
    Vielleicht sagt das etwas über die Menschen. Für uns ist es wichtig und bedeutungsschwer, wenn etwas unter die Erde kommt. Das Erdgeschoss ist dabei eine Art symbolisches Grenzland, eine künstliche Einrichtung, die uns daran erinnert, dass wir noch leben.
    Ich fühle mich in meiner Kellerwohnung wohl. Was sagt das über mich aus?
    Wahrscheinlich übertreibe ich es manchmal mit meinen Analysen.
    »Sie machen so ein nachdenkliches Gesicht«, sagte Murphy. Wir gingen durch einen leeren Krankenhausflur zur Cook County Morgue. Dabei mussten wir einen längeren Umweg machen, damit ich nicht in die Nähe wichtiger medizinischer Geräte kam. Mein Ledermantel raschelte beim Gehen, und der Sprengstock, den ich innen im Mantel festgebunden hatte, prallte rhythmisch gegen mein Bein. Inzwischen trug ich Jeans, und die guten Schuhe hatte ich gegen Wanderstiefel eingetauscht.
    Murphy sah überhaupt nicht nach einer monsterjagenden Walküre aus, eher wie die Schwester von irgendjemand. Sie war knapp über eins fünfzig groß, wog weniger als fünfzig Kilo und hatte die Figur einer Sportlerin, überall durchtrainierte Muskeln. Das blonde Haar fiel ihr immer wieder in die blauen Augen, hinten hatte sie es kurz geschnitten. Sie trug bessere Kleidung als sonst – eine dunkelbraune Bluse und einen grauen Hosenanzug – und hatte mehr Make-up als gewöhnlich aufgelegt. Von Kopf bis Fuß wirkte sie wie eine selbstbewusste Geschäftsfrau.
    Dabei war Murphy tatsächlich eine monsterjagende Walküre. Sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der ein Monster mit einer Kettensäge ausgeschaltet hatte.
    »Ich sagte, Sie wirken so nachdenklich«, wiederholte sie etwas lauter.
    »Ich mag keine Krankenhäuser«, antwortete ich und schüttelte den Kopf.
    Sie nickte. »Leichenschauhäuser finde ich auch unheimlich. Leichenhallen und Hunde.«
    »Hunde?«
    »Ich meine keine Beagles oder Cockerspaniels oder so was, sondern große Hunde.«
    »Ah, verstehe. Ich mag Hunde. Sie sind immer ein kleiner Imbiss für Mister.«
    »Ich habe Sie schon öfter erschrocken gesehen«, erwiderte sie lächelnd. »Aber so wie jetzt sehen Sie dann nicht aus.«
    »Wie sehe ich denn aus?«, fragte ich.
    Murphy schürzte die Lippen, als müsste sie über die Antwort genau nachdenken. »Es kommt mir vor, als machten Sie sich Sorgen und seien frustriert. Vielleicht auch Schuldgefühle. Oder Liebeskummer.«
    Wehmütig sah ich sie an und nickte. »Susan ist in der Stadt.« Murphy pfiff durch die Zähne. »Oh. Geht es ihr gut?«
    »Ja, soweit das überhaupt möglich ist.«
    »Warum schauen Sie dann drein, als hätten Sie gerade etwas verschluckt, das sich noch gewehrt hat?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Sie will ihren Job kündigen, und es war jemand bei ihr.«
    »Ein Mann?«, wollte Murphy wissen.
    »Ja.«
    Sie runzelte die Stirn. »War er nur dabei, oder war er mit ihr zusammen?«
    »Er war nur dabei, glaube ich. Aber ich weiß es nicht genau.«
    »Und jetzt will sie ihren Job kündigen?«
    »Ich denke schon. Wir werden wohl noch darüber reden.«
    »Hat sie das gesagt?«
    »Sie wollte sich noch einmal melden, und dann können wir reden.«
    Murphy kniff die Augen zusammen. »Ah, so eine ist das.«
    »Was?«, fragte ich

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